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Montag, 1. Oktober 2012

Abschied vom Christentum - Europas Weg in die menschliche Katastrophe?



Die Rolle der Mission im europäischen Kontext
Ihre Sendung ist nicht das zentrale Thema in deutschen christlichen Gemeinschaften. Festzustellen ist, dass die deutsche Theologie, nicht von der Mission bestimmt wird. Warum auch, denn es galt ja auch hier, was Stephen Neill von England berichtet: In einem typisch englischen Dorf von nicht mehr als 400 Einwohnern, wo alle getaufte Christen sind, gezwungen, unter dem wachsamen Auge des Pfarrers und des Gutsherrn, ein mehr oder wenig christliches Leben zu führen, hat Evangelisation kaum irgendeinen Sinn.(1) Das Wesen der europäischen Theologie war deshalb nicht von Mission, sondern  von der ethischen Unterweisung bestimmt.
Heute leben wir jedoch in einer anderen Realität. Die Wirklichkeit zeigt, dass sich Europa philosophisch von dem Leben aus dem Gottesbezug verabschiedet hat. Europa und damit auch Deutschland sind nachchristlich und nun „tiefstes Heidenland“. Nicht Liebe und gegenseitige Verantwortung, sondern der Kampf des Stärkeren ist gesellschaftsbestimmend. Die von Charles Darwin beschriebene „natürliche Zuchtwahl“(2) ist in dem Prinzip der natürlichen Auslese zum Paradigma für das soziopolitische Denken geworden. Die Darstellung, dass der „Tüchtige“ der Träger der positiven Evolution ist, wurde auf die Prinzipien von Macht und Wirtschaft in der menschlichen Gesellschaft angewandt. Der Faschismus, der Kommunismus und auch der Kapitalismus haben das Recht des Stärkeren zum Prinzip der menschlichen Daseinsbewältigung erhoben. Die sogenannte „Freie Marktwirtschaft“, in der, ohne Rücksicht auf den Menschen, die Profitgier des Homo oeconomicus die Ethik bestimmt, wurde Ursache zur weltweiten Versklavung von Menschen.
Adam Smith, welcher als Vater der kapitalistischen Volkswirtschaft gilt, stellte die Konkurrenz der Einzelnen als Triebkraft für den Wohlstand eines Volkes dar. Adam Smith versuchte zu zeigen,(3) dass der eigennützige, auf seinen persönlichen wirtschaftlichen Vorteil bedachte Mensch mit seinem wirtschaftlichen Handeln gleichzeitig dem Wohl aller anderen dient.(4) Dieser konkurrierende Wettbewerb ist die Triebkraft des Kapitalismus. In der Anwendung mit den Gesetzen der darwinistischen natürlichen Zuchtwahl auf die Wirtschaft, ist ein soziologisches Grundmuster in unserer Gesellschaft entstanden, welches die kämpferische Konkurrenz als das richtige Verhalten ansieht. Die so entstandene Ethik kennt keine Gnade. Sie hat nichts mit Liebe zu tun.
Daraus ist die absurde Meinung entstanden, dass Krieg und die Vernichtung des Gegners zum Wohlstand, sprich Heil, führt. Die unterschiedlichen politischen Philosophien sind dabei eigene Wege gegangen. Während Hitler und der Faschismus den Weg zu einer positive Evolution im konkurrierenden Kampf der Rassen sah, hatte Marx und der Kommunismus die ständige Revolution der Klassen im Blick. Beide hatten eine bessere und gerechtere Welt im Fokus. Jedoch sind beide Sozialphilosophien in Katastrophen gescheitert.
Die heutige, unkontrollierbare und ethikfreie von der Gier bestimmten „Freie Marktwirtschaft“, hat, obwohl sie diesen Anspruch für sich erhebt, da sie sich auf dem Recht des Starken (Tüchtigen) basiert, keine Chance, eine gerechte Welt des Wohlstandes für alle zu schaffen. In einer Gesellschaft in deren Ethik auf Gewinn und damit auf Macht, Dominanz und Gewalt fokussiert ist, muss es Verlierer geben.
Karl A. Schenzinger wirft in seinem Buch „Atom“ diese Fragen so auf:
Hat der Starke ein recht, seine Stärke gegen den Schwachen zu gebrauchen? Man könnte dagegen fragen, ob der Kluge seine Klugheit unterdrücken soll, um der Einfältigkeit willen, ob eine schöne Frau sich verstümmeln soll, um der Hässlichen den Kummer zu nehmen; Man könnte fragen, wo die Schuld der Klugen und Schönen lege und wo die Verdienste der Einfältigen und der Hässlichen. – Der Geschlagene ist immer im Unrecht!(5)

In den westlichen Gesellschaften gilt Wettbewerb als Mittel zur Auslese, zur Leistungssteigerung, sowie zur optimalen Lösung wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Aufgaben. Dieser philosophische Ansatz wird in unserer globalisierten Welt missionarisch durch Unternehmen, Banken und Politiker bis in die letzten Ecken dieses Planeten getragen.
Im Liberalismus steht der Einzelne in der Konkurrenz zu allen anderen. Damit ist der individuelle Egoismus, die „Nicht-Liebe“ zum bestimmenden Element der Gesellschaft geworden. Josef Kirschner beschreibt und vertritt dieses in seinem Buch "Die Kunst ein Egoist zu sein". Er erhebt den Egozentrismus und  den rücksichtslosen Kampf gegen den Anderen zum Konzept der Daseinsbewältigung, das heißt zur Kultur.
In unserer westlichen Kultur und überall dort wo sie dominiert, ist diese Auffassung heute Leben bestimmend. Die Gier ist der Motor der Gesellschaft. Geiz ist geil. Kirschner benennt als wesentliche Hinderungsgründe dieser Lebensphilosophie die christlichen Tugenden wie Treue, Ehrlichkeit, Solidarität und das Verantwortungsbewusstsein gegenüber anderen.(6) Festzustellen ist, dass die heutige deutsche Gesellschaft in seiner Mehrheit sich nach diesen Ansätzen richtet. Das Resultat ist die Devastation der Menschlichkeit. Der Managementexperte Fredmund Malik stellt fest: Der Kapitalismus ist genauso gescheitert, wie der Sozialismus(7).
Unmenschlicher Egozentrismus widerspricht dem grundlegenden Ziel der christlichen Lebensgestaltung und ist somit radikal anti-christlich. Deshalb geht es für die christliche Kirche längst nicht mehr darum, den Status quo zu bewahren. Sie ist bereits schon lange gescheitert. Das Kennzeichen der Gemeinde Jesu ist das Tragen der Schwachen (Rm 15,1). Die liebevolle Fürsorge für den Andern ist Wesen jeglicher Christusnachfolge (Joh 13,34-35). Die gegenseitige Verantwortung und das soziale Tragen der Schwachen ist in einer Gesellschaft, die nach dem Prinzip der Auslese des Stärkeren gestaltet wird, jedoch ein Absurd. Die logische Konsequenz ist das Ende des Sozialstaates, welcher früher einmal auf der Basis von christlichen Werten aufgebaut wurde. Deswegen steht die Gemeinde in Europa vor der Forderung neu und konstruktiv vom Evangelium her, eine die  Kultur gestaltende Missionsarbeit zu betreiben. Und das nicht nur in der dritten Welt, sondern auch in ihrem direkten Umfeld. Wenn die Gemeinde Jesu in Europa überleben soll, muss sie sich so missionarisch auf den Weg begeben.
Dadurch steht die Theologie vor einer großen Herausforderung. Sie muss gesellschaftsrelevante funktionierende Antworten geben. Das heißt, sie muss sich sendungsbewusst an die Welt richten. Die Theologie steht vor der Herausforderung, ausgehend vom biblischen Menschenbilde, die philosophischen Grundstrukturen für eine funktionierende Weltwirtschaft zu erarbeiten. Die Theologen müssen sich auf dem Weg machen, mit Volks- und Betriebswirten zu arbeiten, um den Menschen eine Strategie der Daseinsbewältigung zu geben, in denen sie leben können. Das heißt es gilt eine christliche Kultur zu schaffen, welche im 21. Jahrhundert lebbar ist.
Die Theologiegeschichte zeigt, dass sich die westliche protestantische Theologie sich jedoch nicht an ihrer Sendung in die Welt ausgerichtet hat. In vielen Studien und Abhandlungen der systematischen Theologie kommt Missionstheologie nur als Randthema oder überhaupt nicht vor.(8) Die Theologie hat sich in einer kuriosen Weise verselbständigt und findet ihre Berechtigung in sich selber. Theologie, die keine Relevanz für die Menschen hat, ist unsinnig. Durch die Loslösung von ihrer Sendung an den „Nicht-Glaubenden“, hat die Theologie in einer entchristlichen Gesellschaft ihre Bedeutung und damit ihre Berechtigung verloren. Wenn eine Wissenschaft, falls man sie denn Wissenschaft nennen soll, wirklich als weltfremd angesehen wird, dann ist es die Theologie. Leider ist dieser Vorwurf oft berechtigt. Wenn Theologie, die als solches sich Studium von Gott und den Menschen versteht, weltfremd ist, ist sie lächerlich. Der Naturwissenschaftler und Mathematiker Günter Ewald(9) stelle mir einmal die Frage, “warum beantwortet ihr Theologen immer die Fragen die kein Mensch stellt?“. Ich hatte leider keine Antwort auf diese Anfrage.
Die theologische Ausbildung in Europa ist nicht auf die Sendung ausgerichtet. Wenn man diese Realität in der Vorbereitung der kirchlichen Leiter bedenkt, verwundert die fehlende Beteiligung der Pastoren und Gemeinden an der Mission in dieser Welt nicht. Das Bestreben und Arbeiten von vielen Geistlichen ist im Wesentlichen auf dem Erhalt der Gemeinde und damit des eigenen Arbeitsplatzes gerichtet. Die Gestaltung der Gesellschaft durch das Evangelium ist kein Thema. Weil sich unsere theologischen Ausbildungsstätten nicht den Fragen des realen Lebens stellen, sind die Theologen auch in der gesellschaftlichen Bedeutungslosigkeit versunken. Das Jammern über die böse Welt, in der alles so schlecht wird, hilft nicht. Relevante Theologie fragt nach dem Evangelium, nach der froh machenden Botschaft, für die heute real lebenden Menschen. Was ist Frohe Botschaft für die Kinder am Bahnhof Zoo oder für die Hartz IV Empfänger im Ruhrpott? Relevantes Evangelium ist nicht losgelöst von der Gottesoffenbarung in der Schrift. Es ist aber mehr, als nur die Vertröstung auf eine kommende Welt. Es ist nicht Aufgabe der christlichen Kirche die Welt zu retten, aber es ist ihre Aufgabe sie prägend zu beeinflussen und vom Evangelium her zu gestalten.
Die westliche Europäische Zivilisation mit ihrem Sozialgefüge wurde auf den Grundüberzeugungen des Christentums aufgebaut. Der Verlust des Christusglaubens, welcher lehrt, dass der Dienst der Liebe stärker als der Tod ist, führt automatisch in die Abkehr vom sozial verantwortlichen Handeln. Mit dem Glauben an Christus hat Europa sein Herz aufgegeben und deshalb seinen Geist verloren. Dabei war es dieser Geist, welches Europa zu dem machte, was es ist. Laut Richard von Weizsäcker liegt die Hoffnung für Europa in der Wiederentdeckung der geistlichen Grundlagen:
Wenn Europa nach dem Ende der Kolonialzeit mit ihrer wirtschaftlichen Ausbeutung anderer Kontinente sich wieder seiner großen geistigen Kräfte besinnt und nicht nur an den materiellen Export denkt, dann ist das ein guter Weg. ... Es ist noch ein weiter Weg, bis wir aus der Überbetonung des Materiellen und des Wirtschaftlichen auch wieder zu den geistigen Fähigkeiten finden, die es ganz gewiss in Europa auch in Zukunft geben wird.(10)

Die Kirche in Europa kann nicht mehr als Ziel die Erhaltung der christlichen Tradition haben. Diese Zeit wurde verpasst. Es ist nun dran, dass die Kirchen und Gemeinden sich bewusst werden, dass es in Europa um klassische Missionsarbeit geht. Das heißt die Verkündigung des Evangeliums durch Wort und Tat, gepaart mit der bewussten Gestaltung der Kultur durch eben dieses Evangelium. Dieses erfordert proaktives und kreatives Forschen und Handeln. Angesichts der leeren Kirchen und Sozialkassen ist eine Theologie der Abgrenzung genau so absurd, als ob jemand in der sinkenden Titanic die Bilder gerade hängen würde. 



1 Neill, Stephen Geschichte der christlichen Mission (Verlag der evangelisch –lutherischen Mission, Erlangen. 1974)
2 z.B. Charles Darwin, Die Entstehung der Arten (Nikol Verlag, Hamburg. 2004)184 Orginaltitel On the origin of species by means of natural selection, or the preservation of favoured races in the struggle for life (London:1859)
3 Adam Smith, Reichtum der Nationen (Voltmedia, Paderborn: 2004)92ff;  engl. Originaltitel: An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations (London: 1776)
4 http://de.wikipedia.org/wiki/Klassische_National%C3%B6konomie
5 Karl Aloys Schenzinger, Atom (Wilhelm Andermann Verlag, München Wien: 1950)357
6 Josef Kirschner, Die Kunst ein Egoist zu sein, (Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München: 1976)68
7 Zitiert bei Ralf Hering, Bernd Schuppner, Nina Schuppner, Leadership statt Management: Führung durch Kommunikation (Haupt Verlag, Bern:2010)19
8 Siehe u.a. Barth, Karl, Kirchliche Dogmatik in 14 Bänden (Evangelischer Verlag AG, Zollikon-Zürich:1955); Weber, Otto, Grundlagen der Dogmatik in 2 Bänden(Neukirchener Verlag, Neukirchen Vluyn. 1955) Bancroft, Emery H., Teologia Elementar – Doutrinária e conservadora, (Imprensa batista Regular, Sao Paulo: 1966); Baral, Karl, Handbuch der biblischen Glaubenslehre – Grundlagen für Glauben und Leben, (Hänssler Verlag, Neuhausen Stuttgart: 1994); Berkhof, Louis, Systematic Theology, (Te Banner of Truth Trust, London 1958); Böhl, Eduard, Dogmatik, (Hänssler Verlag, Neuhausen Stuttgart: 1995) Brunner, Emil, Unser Glaube – Eine christliche Unterweisung (Gotthelf – Verlag, Zürich – Leipzig: 1935); Chafer, Lewis Sperry Theologia Sistemática, (imprensa Batista Regular, Sao Paulo: 1986); Erickson, Millard J., Introducao à teologia Sistemática, (Edicoes Vida Nova, Sao Paulo: 1986); Langston, A. B., Esbocos da Teologia Sistemática (Juerp, Rio de Janeiro:1988); Legiehn, Hans, Unser Glaube ist der Sieg (R. Brickhaus Verlag, Wuppertal: 1954)
9 Prof. Dr. rer. nat. Günter Ewald, geboren 1929, Studium der Mathematik, Physik, Chemie und Philosophie
10 Interwiev von FOCUS-Redakteur Michael Klonovsky mit Richard von Weizsäcker, FOCUS Nr. 48 (1995). Das Gespräch fand im Restaurant „Reinhard´s“, Berlin-Mitte, statt.

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