Die Rolle
der Mission im europäischen Kontext
Ihre Sendung ist
nicht das zentrale Thema in deutschen christlichen Gemeinschaften.
Festzustellen ist, dass die deutsche Theologie, nicht von der Mission bestimmt
wird. Warum auch, denn es galt ja auch hier, was Stephen Neill von England
berichtet: In einem typisch
englischen Dorf von nicht mehr als 400 Einwohnern, wo alle getaufte Christen
sind, gezwungen, unter dem wachsamen Auge des Pfarrers und des Gutsherrn, ein
mehr oder wenig christliches Leben zu führen, hat Evangelisation kaum
irgendeinen Sinn.(1)
Das Wesen der europäischen
Theologie war deshalb nicht von Mission, sondern von der ethischen Unterweisung bestimmt.
Heute leben wir
jedoch in einer anderen Realität. Die Wirklichkeit zeigt, dass sich Europa
philosophisch von dem Leben aus dem Gottesbezug verabschiedet hat. Europa und
damit auch Deutschland sind nachchristlich und nun „tiefstes Heidenland“. Nicht
Liebe und gegenseitige Verantwortung, sondern der Kampf des Stärkeren ist
gesellschaftsbestimmend. Die von Charles Darwin beschriebene „natürliche
Zuchtwahl“(2) ist
in dem Prinzip der natürlichen Auslese zum Paradigma für das soziopolitische
Denken geworden. Die Darstellung, dass der „Tüchtige“ der Träger der positiven
Evolution ist, wurde auf die Prinzipien von Macht und Wirtschaft in der
menschlichen Gesellschaft angewandt. Der Faschismus, der Kommunismus und auch
der Kapitalismus haben das Recht des Stärkeren zum Prinzip der menschlichen
Daseinsbewältigung erhoben. Die sogenannte „Freie Marktwirtschaft“, in der,
ohne Rücksicht auf den Menschen, die Profitgier des Homo oeconomicus die Ethik
bestimmt, wurde Ursache zur weltweiten Versklavung von Menschen.
Adam Smith,
welcher als Vater der kapitalistischen Volkswirtschaft gilt, stellte die
Konkurrenz der Einzelnen als Triebkraft für den Wohlstand eines Volkes dar.
Adam Smith versuchte zu zeigen,(3) dass
der eigennützige, auf seinen persönlichen wirtschaftlichen Vorteil bedachte Mensch
mit seinem wirtschaftlichen Handeln gleichzeitig dem Wohl aller anderen dient.(4)
Dieser konkurrierende Wettbewerb ist die Triebkraft des Kapitalismus. In der
Anwendung mit den Gesetzen der darwinistischen natürlichen Zuchtwahl auf die
Wirtschaft, ist ein soziologisches Grundmuster in unserer Gesellschaft
entstanden, welches die kämpferische Konkurrenz als das richtige Verhalten
ansieht. Die so entstandene Ethik kennt keine Gnade. Sie hat nichts mit Liebe
zu tun.
Daraus ist die
absurde Meinung entstanden, dass Krieg und die Vernichtung des Gegners zum
Wohlstand, sprich Heil, führt. Die unterschiedlichen politischen Philosophien
sind dabei eigene Wege gegangen. Während Hitler und der Faschismus den Weg zu
einer positive Evolution im konkurrierenden Kampf der Rassen sah, hatte Marx
und der Kommunismus die ständige Revolution der Klassen im Blick. Beide hatten
eine bessere und gerechtere Welt im Fokus. Jedoch sind beide Sozialphilosophien
in Katastrophen gescheitert.
Die heutige,
unkontrollierbare und ethikfreie von der Gier bestimmten „Freie
Marktwirtschaft“, hat, obwohl sie diesen Anspruch für sich erhebt, da sie sich
auf dem Recht des Starken (Tüchtigen) basiert, keine Chance, eine gerechte Welt
des Wohlstandes für alle zu schaffen. In einer Gesellschaft in deren Ethik auf
Gewinn und damit auf Macht, Dominanz und Gewalt fokussiert ist, muss es
Verlierer geben.
Karl A.
Schenzinger wirft in seinem Buch „Atom“ diese Fragen so auf:
Hat der
Starke ein recht, seine Stärke gegen den Schwachen zu gebrauchen? Man könnte
dagegen fragen, ob der Kluge seine Klugheit unterdrücken soll, um der
Einfältigkeit willen, ob eine schöne Frau sich verstümmeln soll, um der
Hässlichen den Kummer zu nehmen; Man könnte fragen, wo die Schuld der Klugen
und Schönen lege und wo die Verdienste der Einfältigen und der Hässlichen. –
Der Geschlagene ist immer im Unrecht!(5)
In den westlichen
Gesellschaften gilt Wettbewerb als Mittel zur Auslese, zur Leistungssteigerung,
sowie zur optimalen Lösung wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und
wissenschaftlicher Aufgaben. Dieser philosophische Ansatz wird in unserer
globalisierten Welt missionarisch durch Unternehmen, Banken und Politiker bis
in die letzten Ecken dieses Planeten getragen.
Im Liberalismus
steht der Einzelne in der Konkurrenz zu allen anderen. Damit ist der
individuelle Egoismus, die „Nicht-Liebe“ zum bestimmenden Element der
Gesellschaft geworden. Josef Kirschner beschreibt und vertritt dieses in seinem
Buch "Die Kunst ein Egoist zu sein". Er erhebt den Egozentrismus und den rücksichtslosen Kampf gegen den Anderen
zum Konzept der Daseinsbewältigung, das heißt zur Kultur.
In unserer westlichen Kultur und überall dort wo sie dominiert, ist diese Auffassung heute Leben bestimmend. Die Gier ist der Motor der Gesellschaft. Geiz ist geil. Kirschner benennt als wesentliche Hinderungsgründe dieser Lebensphilosophie die christlichen Tugenden wie Treue, Ehrlichkeit, Solidarität und das Verantwortungsbewusstsein gegenüber anderen.(6) Festzustellen ist, dass die heutige deutsche Gesellschaft in seiner Mehrheit sich nach diesen Ansätzen richtet. Das Resultat ist die Devastation der Menschlichkeit. Der Managementexperte Fredmund Malik stellt fest: Der Kapitalismus ist genauso gescheitert, wie der Sozialismus(7).
In unserer westlichen Kultur und überall dort wo sie dominiert, ist diese Auffassung heute Leben bestimmend. Die Gier ist der Motor der Gesellschaft. Geiz ist geil. Kirschner benennt als wesentliche Hinderungsgründe dieser Lebensphilosophie die christlichen Tugenden wie Treue, Ehrlichkeit, Solidarität und das Verantwortungsbewusstsein gegenüber anderen.(6) Festzustellen ist, dass die heutige deutsche Gesellschaft in seiner Mehrheit sich nach diesen Ansätzen richtet. Das Resultat ist die Devastation der Menschlichkeit. Der Managementexperte Fredmund Malik stellt fest: Der Kapitalismus ist genauso gescheitert, wie der Sozialismus(7).
Unmenschlicher
Egozentrismus widerspricht dem grundlegenden Ziel der christlichen
Lebensgestaltung und ist somit radikal anti-christlich. Deshalb geht es für die
christliche Kirche längst nicht mehr darum, den Status quo zu bewahren. Sie ist
bereits schon lange gescheitert. Das Kennzeichen der Gemeinde Jesu ist das
Tragen der Schwachen (Rm 15,1). Die liebevolle Fürsorge für den Andern ist
Wesen jeglicher Christusnachfolge (Joh 13,34-35). Die gegenseitige
Verantwortung und das soziale Tragen der Schwachen ist in einer Gesellschaft,
die nach dem Prinzip der Auslese des Stärkeren gestaltet wird, jedoch ein
Absurd. Die logische Konsequenz ist das Ende des Sozialstaates, welcher früher
einmal auf der Basis von christlichen Werten aufgebaut wurde. Deswegen steht
die Gemeinde in Europa vor der Forderung neu und konstruktiv vom Evangelium
her, eine die Kultur gestaltende
Missionsarbeit zu betreiben. Und das nicht nur in der dritten Welt, sondern
auch in ihrem direkten Umfeld. Wenn die Gemeinde Jesu in Europa überleben soll,
muss sie sich so missionarisch auf den Weg begeben.
Dadurch steht die
Theologie vor einer großen Herausforderung. Sie muss gesellschaftsrelevante
funktionierende Antworten geben. Das heißt, sie muss sich sendungsbewusst an
die Welt richten. Die Theologie steht vor der Herausforderung, ausgehend vom
biblischen Menschenbilde, die philosophischen Grundstrukturen für eine
funktionierende Weltwirtschaft zu erarbeiten. Die Theologen müssen sich auf dem
Weg machen, mit Volks- und Betriebswirten zu arbeiten, um den Menschen eine
Strategie der Daseinsbewältigung zu geben, in denen sie leben können. Das heißt
es gilt eine christliche Kultur zu schaffen, welche im 21. Jahrhundert lebbar
ist.
Die
Theologiegeschichte zeigt, dass sich die westliche protestantische Theologie
sich jedoch nicht an ihrer Sendung in die Welt ausgerichtet hat. In vielen
Studien und Abhandlungen der systematischen Theologie kommt Missionstheologie
nur als Randthema oder überhaupt nicht vor.(8) Die
Theologie hat sich in einer kuriosen Weise verselbständigt und findet ihre
Berechtigung in sich selber. Theologie, die keine Relevanz für die Menschen hat,
ist unsinnig. Durch die Loslösung von ihrer Sendung an den „Nicht-Glaubenden“, hat
die Theologie in einer entchristlichen Gesellschaft ihre Bedeutung und damit
ihre Berechtigung verloren. Wenn eine Wissenschaft, falls man sie denn
Wissenschaft nennen soll, wirklich als weltfremd angesehen wird, dann ist es
die Theologie. Leider ist dieser Vorwurf oft berechtigt. Wenn Theologie, die
als solches sich Studium von Gott und den Menschen versteht, weltfremd ist, ist
sie lächerlich. Der Naturwissenschaftler und Mathematiker Günter Ewald(9) stelle mir einmal die Frage, “warum beantwortet ihr Theologen immer die
Fragen die kein Mensch stellt?“. Ich hatte leider keine Antwort auf diese
Anfrage.
Die theologische
Ausbildung in Europa ist nicht auf die Sendung ausgerichtet. Wenn man diese Realität
in der Vorbereitung der kirchlichen Leiter bedenkt, verwundert die fehlende
Beteiligung der Pastoren und Gemeinden an der Mission in dieser Welt nicht. Das
Bestreben und Arbeiten von vielen Geistlichen ist im Wesentlichen auf dem
Erhalt der Gemeinde und damit des eigenen Arbeitsplatzes gerichtet. Die
Gestaltung der Gesellschaft durch das Evangelium ist kein Thema. Weil sich
unsere theologischen Ausbildungsstätten nicht den Fragen des realen Lebens
stellen, sind die Theologen auch in der gesellschaftlichen Bedeutungslosigkeit
versunken. Das Jammern über die böse Welt, in der alles so schlecht wird, hilft
nicht. Relevante Theologie fragt nach dem Evangelium, nach der froh machenden
Botschaft, für die heute real lebenden Menschen. Was ist Frohe Botschaft für
die Kinder am Bahnhof Zoo oder für die Hartz IV Empfänger im Ruhrpott?
Relevantes Evangelium ist nicht losgelöst von der Gottesoffenbarung in der
Schrift. Es ist aber mehr, als nur die Vertröstung auf eine kommende Welt. Es
ist nicht Aufgabe der christlichen Kirche die Welt zu retten, aber es ist ihre
Aufgabe sie prägend zu beeinflussen und vom Evangelium her zu gestalten.
Die westliche Europäische Zivilisation mit ihrem
Sozialgefüge wurde auf den Grundüberzeugungen des Christentums aufgebaut. Der
Verlust des Christusglaubens, welcher lehrt, dass der Dienst der Liebe stärker
als der Tod ist, führt automatisch in die Abkehr vom sozial verantwortlichen
Handeln. Mit dem Glauben an Christus hat Europa sein Herz aufgegeben und
deshalb seinen Geist verloren. Dabei war es dieser Geist, welches Europa zu dem
machte, was es ist. Laut Richard von Weizsäcker liegt die Hoffnung für Europa
in der Wiederentdeckung der geistlichen Grundlagen:
Wenn Europa nach dem Ende der Kolonialzeit mit ihrer
wirtschaftlichen Ausbeutung anderer Kontinente sich wieder seiner großen
geistigen Kräfte besinnt und nicht nur an den materiellen Export denkt, dann
ist das ein guter Weg. ... Es ist noch ein weiter Weg, bis wir aus der
Überbetonung des Materiellen und des Wirtschaftlichen auch wieder zu den
geistigen Fähigkeiten finden, die es ganz gewiss in Europa auch in Zukunft
geben wird.(10)
Die Kirche in Europa kann nicht mehr als Ziel die
Erhaltung der christlichen Tradition haben. Diese Zeit wurde verpasst. Es ist
nun dran, dass die Kirchen und Gemeinden sich bewusst werden, dass es in Europa
um klassische Missionsarbeit geht. Das heißt die Verkündigung des Evangeliums
durch Wort und Tat, gepaart mit der bewussten Gestaltung der Kultur durch eben
dieses Evangelium. Dieses erfordert proaktives und kreatives Forschen und
Handeln. Angesichts der leeren Kirchen und Sozialkassen ist eine Theologie der
Abgrenzung genau so absurd, als ob jemand in der sinkenden Titanic die Bilder
gerade hängen würde.
1 Neill, Stephen Geschichte
der christlichen Mission (Verlag der evangelisch –lutherischen Mission,
Erlangen. 1974)
2 z.B. Charles Darwin, Die
Entstehung der Arten (Nikol Verlag, Hamburg. 2004)184 Orginaltitel On the origin of species by means of natural selection,
or the preservation of favoured races in the struggle for life (London:1859)
3 Adam Smith, Reichtum
der Nationen (Voltmedia, Paderborn: 2004)92ff; engl. Originaltitel: An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of
Nations (London: 1776)
4 http://de.wikipedia.org/wiki/Klassische_National%C3%B6konomie
5 Karl Aloys Schenzinger, Atom
(Wilhelm Andermann Verlag, München Wien: 1950)357
6 Josef Kirschner, Die
Kunst ein Egoist zu sein, (Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf.,
München: 1976)68
7 Zitiert bei Ralf Hering,
Bernd Schuppner, Nina Schuppner, Leadership statt Management: Führung durch
Kommunikation (Haupt Verlag, Bern:2010)19
8 Siehe u.a. Barth, Karl, Kirchliche
Dogmatik in 14 Bänden (Evangelischer Verlag AG, Zollikon-Zürich:1955);
Weber, Otto, Grundlagen der Dogmatik in 2 Bänden(Neukirchener Verlag,
Neukirchen Vluyn. 1955) Bancroft, Emery H., Teologia Elementar – Doutrinária
e conservadora, (Imprensa batista Regular, Sao Paulo: 1966); Baral, Karl, Handbuch
der biblischen Glaubenslehre – Grundlagen für Glauben und Leben, (Hänssler
Verlag, Neuhausen Stuttgart: 1994); Berkhof, Louis, Systematic Theology, (Te
Banner of Truth Trust, London 1958); Böhl, Eduard, Dogmatik, (Hänssler
Verlag, Neuhausen Stuttgart: 1995) Brunner, Emil, Unser Glaube – Eine
christliche Unterweisung (Gotthelf – Verlag, Zürich – Leipzig: 1935);
Chafer, Lewis Sperry Theologia Sistemática, (imprensa Batista Regular,
Sao Paulo: 1986); Erickson, Millard J., Introducao à teologia Sistemática, (Edicoes
Vida Nova, Sao Paulo: 1986); Langston, A. B., Esbocos da Teologia
Sistemática (Juerp, Rio de Janeiro:1988); Legiehn, Hans, Unser Glaube
ist der Sieg (R. Brickhaus Verlag, Wuppertal: 1954)
9 Prof.
Dr. rer. nat. Günter Ewald, geboren 1929, Studium der Mathematik, Physik,
Chemie und Philosophie
10 Interwiev von FOCUS-Redakteur Michael Klonovsky
mit Richard von Weizsäcker, FOCUS Nr. 48 (1995). Das Gespräch fand im
Restaurant „Reinhard´s“, Berlin-Mitte, statt.
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