Die
Globalisierung ist die Herausforderung unserer Zeit. Wie können wir sie lebbar gestalten?
Unter
Globalisierung wird die zunehmende Verflechtung des politischen,
wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Lebens auf unserem Planeten Erde
verstanden.(1) Die Globalisierung wird an
durch die Internationalen Verbände und Institutionen deutlich. Der UNO gehören
alle Nationalstaaten außer dreien an. Die FIFA hat Fußballverbände aus allen
Ländern als Mitglied. Die Fußballweltmeisterschaft wird rund um den Globus
verfolgt. Das Olympische Komitee lädt alle Länder zu den großen sportlichen
Feiern ein. UNICEF und UNESCO kümmern sich um die Kinder und die Bildung in der
gesamten Welt. Die WHO verfolgt die Gesundheit der Weltbevölkerung. Die ILO
sorgt sich um die Arbeiter rund um den Globus. Dem IMF geht es um die
Finanzentwicklung in dieser Welt, in der auch die Weltbank mitmischt.
Dabei rücken
auch die Menschen in unserer Welt immer näher zusammen. Es gibt viele
zwischenmenschliche Beziehungen rund um den Globus. Die Menschen hören überall
die gleiche Musik und sehen die gleichen Filme. Sie flirten weltumspannend in
Chatrooms miteinander. Moderne Komunikations- und Verkehrsmittel haben die
Entfernungen für Handel und Geschäfte schrumpfen lassen. Es ist nichts
besonderes, dass man in der deutschen Stadt Frankfurt, in einem
niederländischen Kaufhaus, eine aus brasilianischer Baumwolle hergestellte, in Taiwan
genähte, amerikanische Markenjeans mit europäischen Geld bei einer iranischen
Verkäuferin erwerben kann. Die Firma Rittal aus dem Dorf Dietzhölztal hat ihre
Niederlassungen rund um den Globus verteilt. Nach einer schlecht geschlafenen
Nacht hat das Flugzeug uns nach São Paulo, Tokio oder Bombay gebracht. Mittels
Internet stöbern Studenten gleichzeitig in den Forschungsarbeiten der
Universitäten von Oxford, Jale, Moskau und Johannesburg herum. Fernsehkanäle
wie CNN und MTV sind rund um den Globus zu empfangen. Die Erde ist global
miteinander verbunden. In einem bayrischen Dorf werden die gleichen Soaps
gesehen, wie in den Favelas von Rio de Janeiro oder in den Flats von Manhattan.
Wenn man diese
kulturellen Erscheinungen ansieht, hat man den Eindruck, dass sich eine
Weltkultur entwickelt, die alles vereint. „McWord“(2) ist
Teil einer jeden Esskultur geworden. Bernd Wagner stellt fest: Durch die
Globalisierung von Ökonomie und Kommunikation entsteht zunehmend eine weltweite
Kultur ohne nationale Schranken mit universellen Bilderwelten und gleichen
Mustern vor allem von Popularkultur.(3) Das ganz normale
Leben eines jeden Menschen hat heute eine globale Dimension. Dieses ist, egal
ob man es gut oder schlecht findet, ein Fakt. Das gilt genauso für den deutschen
Geschäftsmann, wie für den afrikanischen Bauer, für den pferdezüchtenden
Tataren und den Samba tanzenden Brasilianer. Der Kontext, auf dem sich das
menschliche Leben des 21. Jahrhunderts abspielt, ist die globale Bühne.
Die
Globalisierung ist eine Tatsache, der wir ins Auge sehen müssen. Es geht nicht
darum, ob man für oder gegen die Globalisierung ist. Sie geschieht einfach.
Seit den großen europäischen Entdeckungsfahrten zu Beginn der Neuzeit ist die
Globalisierung ein fortschreitender Prozess. Im Verlauf der Jahrhunderte haben
sich Länder vereinigt und Staatenbünde sind entstanden, sodass nach dem 2.
Weltkrieg nur noch zwei große politische Blöcke gab. Durch den Zusammenbruch
des sozialistischen Imperiums vor 20 Jahren, gibt es keine zwei rivalisierenden
Machtblöcke mehr. Seit dem geht es in der Welt um Einheit und wer nun hierbei
das globale Sagen hat. Die Welt ist in diese Situation unvorbereitet hinein
gestolpert. Die wirtschaftlichen Konsequenzen hat man nicht absehen können.
Peter Graber von der Deutschen Bank beschreibt dieses so:
Vor fünfzehn
Jahren gab es zwei isolierte Planeten die sich um die Sonnen drehten. Der eine
hatte drei große kapitalreiche Regionen – Europa die Vereinigten Staaten und
Japan – und eine Peripherie von kleinen Staaten in denen mehr oder weniger
Vollbeschäftigung existierte und wo durch gesunde Wechselkurse eine Mobilität
des Kapitals herrschte. Der andere Planet war die kommunistisch, sozialistische
Welt, die einen großen Haufen an Arbeit mit falscher Planung und Zuteilung und
mit wertlosen Kapital hatte. Und plötzlich wurden beide in eine einzige große
globale Marktwirtschaft gezwängt. Das hat ein System mit einer massiven
globalen Arbeitslosigkeit geschaffen.(4)
Dieser plötzliche Zusammenschluss der Welt zu einem
einheitlichen Wirtschaftssystem nach amerikanischem Muster hat für alle Länder
weiter gehende Folgen. Dazu nimmt die World Commisssion on the Social Dimension
of Globalization in ihrem Bericht Stellung:
Durch neue,
von offeneren Politiken gestützte Technologien ist eine Welt entstanden, die
enger denn je verflochten ist. Das bewirkt nicht nur eine wachsende
Interdependenz im Bereich der Wirtschaftsbeziehungen – Handel Investitionen,
Finanzen und die weltweite Organisation der Produktion -, sondern auch die
soziale und politische Interaktion von Organisationen und Einzelpersonen in
aller Welt. Die möglichen positiven Auswirkungen sind immens.(5)
Doch gleichzeitig wird ein enormes
Konfliktpotenzial deutlich. Die Uno muss bekennen:
Die Welt, gezwängt in ein ökologisches, finanzielles,
kommerzielles und elektronisches System, war niemals so entzweit wie heute in
Hinblick auf Macht Reichtum, Einfluss und Zugang zu Informationen und Gütern.
... Die Realität der sogenannten Echtzeit-Kommunikation, die Möglichkeit ohne
Zeitverzögerung weltweit zu kommunizieren und grenzenloser Gemeinschaft hat
zugleich die tiefe Kluft, ja sogar Diskriminierung sichtbar gemacht, die in
enger territorialen Nachbarschaft koexistieren.(6)
Schon seit jeher war es so: An der Spitze jeder sozialen Ordnung entstand
großer Reichtum. Diese Realität wird auch in der jetzigen Zeit
deutlich.(7) Dort wo die Macht ist, konzentriert sich Reichtum oder in
der Antithese, der Machtlose ist arm. Jean Baudrillard hat diese Art
Globalisierung scharf kritisiert. Es ist besonders die Gewalt und die
menschenverachtende Art und Weise wie sie sich gestaltet, welche er kritisiert.
In einem Interview mit dem Spiegel äußerte er sich so:
Globalisierung beruht, wie früher der
Kolonialismus, auf einer ungeheuren Gewalt. Sie schafft mehr Opfer als
Nutznießer, auch wenn die westliche Welt mehrheitlich davon profitiert. ...
Sie wird angepriesen wie der Endpunkt der Aufklärung, die Auflösung
aller Widersprüche. In Wirklichkeit verwandelt sie alles in einen
verhandelbaren, bezahlbaren Tauschwert. Dieser Prozess ist extrem gewaltsam,
denn er zielt auf eine Vereinheitlichung als Idealzustand ab, in dem alles
Einzigartige, jede Singularität, mithin auch jede andere Kultur und letztlich
jeder nichtmonetäre Wert aufgehoben würden(8).
Die Ethik
der wirtschaftlichen Globalisierung
In der
Globalisierung liegt eine großes Potenzial für eine Verbesserung der
Lebensbedingungen. Dabei ist jedoch die Grundfrage nach welchen ethischen
Prinzipien der Prozess durchgeführt wird. Eine globale Wirtschaft, die ihren
Machtkampf, ohne Spielregeln in der Arena der freien Marktwirtschaft austrägt,
führt unweigerlich zu einer weltweiten Misere. Deshalb fordert die World
Commisssion on the Social Dimension of Globalization eine Korrektur des
derzeitigen Globalisierungspfades(9). Sie
glaubt, dass die globale Marktwirtschaft, richtig gelenkt einen
beispiellosen materiellen Fortschritt bewirken, produktivere und bessere
Arbeitsplätze für alle schaffen und einen wichtigen Beitrag zur Verringerung
der Armut in der Welt leisten kann.(10)
Dabei geht es um die Frage, wer aber den globalen Verschmelzungsprozess lenkt
und wer die Spielregeln bestimmt.
Leider sind die
sozialen Verhältnisse in dieser Welt sehr ungerecht. Es gibt keine
Chancengleichheit. In der globalisierten Welt mit seinen komplexen
wirtschaftlichen Problemen ist eine Solidargemeinschaft der Menschheit eine
Utopie. Die Gelder für Entwicklungshilfe wurden in der Zeit von 1995 bis 2000
um 25% gekürzt. Als Folge der Finanzkrise werden die Hilfen weiter zurückgefahren.
1960 war das BIP pro Kopf der zwanzig
reichsten Länder 18 mal so viel, wie das der zwanzig ärmsten Länder. 1995
erreichte der Unterschied das 37fache. Weltweit litten im Jahr 2000 insgesamt
826 Millionen Menschen an Hunger. Davon leben aber nur 8 Millionen in so
genannten westlichen Industrieländern.(11) Seit
10 Jahren nimmt der Hunger trotz aller Anstrengungen zu. Heute sind es über
eine Milliarde.(12) Weltweit sind 1/3 der
drei Milliarden Personen im
erwerbstätigen Alter arbeitslos oder unterbeschäftigt. Mehr als 500
Millionen Beschäftigte verdienen weniger
als 1 US$ pro Tag.(13)
Diese Fakten zeigen die soziale Spannung der Globalisierung auf. Die World
Commisssion on the Social Dimension of Globalization stellt fest:
Der derzeitige
Prozess der Globalisierung führt zu unausgewogenen Ergebnissen, innerhalb von
Ländern, ebenso zwischen ihnen. Zwar wird Reichtum geschaffen, aber zu viele
Länder und Menschen können nicht davon profitieren. ... Viele leben im
Niemandsland der informellen Wirtschaft ohne formelle Rechte in einer Reihe
armer Länder, die am Rande der Weltwirtschaft ums nackte Überleben kämpfen.(14)
Durch die
Globalisierung der Kommunikation werden Informationen über die soziale
Ungerechtigkeit gleichzeitig überall verbreitet. Dadurch entsteht ein tiefes
Bewusstsein des Ungleichen. Der reiche Mensch aus den westlichen
Industrieländern wird als der Besitzende gesehen. Das Gefühl der
Ungerechtigkeit provoziert Zorn. Dieser verwandelt sich leicht in Groll und
Hass. Die logische Konsequenz ist der bewaffnete Kampf gegen die Ausbeuter. In
der Meinung vieler, hat dieser Ausbeuter in der USA als führende Weltmacht,
einen konkreten Namen. Ebenso wird Europa als Ausbeuter wahrgenommen.
Jean Baudrillard behauptet,
dass der Terrorismus der muslimischen Welt seine Wurzeln darin hat. Die vom
Westen als Paradies verkündigte Demokratie wird, wenn sie verabsolutiert und
mit Gewalt durchgesetzt wird, zur Zerstörung ihrer selbst. So sagt Baudrillard:
Es ist völlig unmöglich, dass es dagegen keine gewalttätige Reaktion gibt.
Der Terrorismus entsteht, wenn keine andere Gegenwehr mehr möglich erscheint.
Das System empfindet objektiv alles als terroristisch, was sich ihm
entgegenstellt.(15) So behaupten nun auch Norman
Stone: Nur die Armee garantiert den säkularen, liberalen Staat.(16)
Damit wird deutlich, dass die Globalisierung, wie sie wirtschaftlich
vorangetrieben wird, nicht auf Freiwilligkeit sondern auf Gewalt basiert. Es
handelt sich um einen Krieg, einen Wirtschaftskrieg. Jeder Krieg hat Opfer. Es
gibt keinen guten oder berechtigten Krieg. Der Wirtschaftswissenschaftler Peter
Neuling erklärt, dass die Ursache der meisten Kriege um des erwarteten
ökonomischen Vorteils willen geführt werden.(17)
Die moderne
Völkerwanderung
Die mit der
Globalisierung verbundenen Verschiebungen der Wirtschaftsstandorte hat zur
größten Bewegung der Menschheit geführt. Migration und Immigration ist in allen
Ländern eine Realität. Mobilität ist da Markenzeichen der heutigen Menschheit.
Die räumliche Beweglichkeit der Menschen ist das was die Globalisierung
fordert. Dort wo es Arbeit und Gewinne gibt, da ziehen die Menschen hin. Dieses
geschieht innerhalb der Landesgrenzen genauso, wie zwischen den Nationen. In
Brasilien sind von 1986 – 1966 neun Millionen Menschen von einem Estado (Bundesland)
zu einem anderen gezogen. In den Jahren von 1991 bis 1996 waren es über 1,1
Millionen Menschen, die allein in den Estado São Paulo(18)
gezogen sind. Von den Menschen, die 1999 in der Region Centro-Oeste wohnten
waren es 54%, die nicht in dieser Region geboren waren.(19)
Die Bewegung der
Bevölkerung ist keine Spezialität Brasiliens. In China allein spricht man von
einer Zahl von 150 Millionen Arbeitsmigranten.(20)
Überall auf der Welt sind die Menschen in unterwegs, wechseln den Wohnort und
passen sich dann wieder neu irgendwo ein. In Deutschland leben heute fast 2
Millionen Türken. Insgesamt hat Deutschland eine ausländische Bevölkerung von 7
348 000 Menschen.(21) Im
Jahr 2002 zogen 842 543 Menschen aus dem Ausland nach Deutschland. Im gleichen
Zeitraum verließen 623 255 Menschen unser Land.(22) Im
Jahr 2000 haben die deutschen Städte und Gemeinden 2 531 255 Zuzüge und 2 450
594 Wegzüge registriert.(23)
Von 1991 – 2000
sind 9 095 000 Menschen in die USA offiziell immigriert. Dazu rechnet die US
Regierung mit mehr als 7 Millionen
illegale Einwanderer.(24) In
der Schweiz lebten im Jahr 2000 insgesamt 7 164 000 Menschen, davon waren 5 758
000 Schweizer. Die Ausländische Bevölkerung betrug 1 406 000 Personen. Das
heißt, das jede 5 Person, die in der Schweiz wohnt, ein Ausländer ist.(25) In
Deutschland sind ca. 19,4% der Bevölkerung Menschen mit Migrantionshintergrund.(26)
Viele dieser
Bewegungen sind freiwillig. Jedoch geschehen die meisten Umzüge aus einem
ökonomischen Druck heraus. Die zunehmende Verarmung breiter Volksmassen und die
damit zusammenhängende Bedrohung des Lebensstandards ist wahrscheinlich die größte Motivation für
die Bewegung der Menschen. Dazu kommen die vielen Kriege und Konflikte. Die
Welt ist voller Flüchtlingen. Jeder 300. Mensch ist heute ein Flüchtling. Am 1.Januar
2003 hatte die UNHCR 20 556 781 Flüchtlinge erfasst(27).
Davon leben ca. 4,5 Millionen in Lagern.(28)
Weltweit laufen zur Zeit über eine Million Asylanträge.(29)
Diese Zahl und auch die Tragik ist größer, als nach dem 2. Weltkrieg ca. 18
Millionen Deutsche ihre Heimat verloren.(30) In
den meisten Fällen gibt es keine Perspektive für ein neues Zuhause.
Diese Zahlen
sind der Beleg, dass die Menschen in Bewegung sind. Es ist egal wo wir
hinschauen. In Russland, in Indien, in England oder den Vereinigten Staaten, überall
wechseln Menschen den Wohnort. Die Germanische Völkerwanderung zur Zeit der
Spätantike war, gemessen an der Größe der jetzigen Bevölkerungsbewegungen, nur
eine Lappalie. Wenn wir aber in die Geschichte hinein schauen, können wir die
großen Veränderung der Welt durch die geschichtliche Völkerwanderung
feststellen. Das Weströmische Reich brach zusammen. Durch die Begegnung der
Römer und der Germanen entstand eine neue Kultur. Die Zeit der Antike endete
und das Mittelalter begann. Ebenso stehen wir heute in einer radikalen
Veränderung der Kultur.
Die Bewegung der
Völker führt zu einer Veränderung des Lebensraums und der Lebensbedingungen. Es
ist ja nicht so, dass der Platz wohin sich die Menschen bewegen leer ist.
Überall gibt es bereits Menschen und Völker, Kulturen und Gewohnheiten. Wie
auch damals, geht die aktuelle Verschiebung der Völker nicht ohne Leid ab.
Konflikte sind eine logische Folge.
Die
Fremdheit als Folge der Globalisierung
Fremd ist
eigentlich kein Adjektiv. Dinge und Personen sind nicht an sich fremd.
Fremdheit ist die Beschreibung eines Beziehungsverhältnisses. So nimmt Julia
Kristeva die Aussage „Fremde sind wir selbst“ zum Titel ihrer Studie der
psychoanalytischen Sicht von Fremdheit.(31)
Fremdheit ist eine Beziehungserfahrung. Es ist ein Gefühl der Unsicherheit, des
Unbekannten, des Exotischen, eben des Fremden. Die Begegnung mit dem Anderen,
dem Fremden, stellt immer die eigene Person und Position in Frage. Wenn etwas
fremd ist, dann ist es nicht automatisch negativ oder positiv. Das Fremde hat
eine gewisse Attraktion. Die Faszination des Fremden füllt die Kassen der
Reisebüros. Sie ist die Quelle des Abenteuers, ohne welches das Leben zur
langweiligen Monotonie werden würde.
Von vielen
Menschen wird Fremdheit jedoch als Bedrohung empfunden. Das nicht Heimliche und
das nicht Vertraute wird als un-heimlich empfunden und mit Un-vertrauen
angesehen. Angst und Misstrauen haben noch nie eine konstruktive menschliche
Gemeinschaft aufgebaut. So haben viele blutige Konflikte ihre Ursache in der
erfahrenen Fremdheit. Das Andere wird als Gefahr wahrgenommen, nur weil es
Fremd ist. Kofi Annan bringt dieses Phänomen in dem Vorwort zu der UNO
Publikation „Brücken für die Zukunft“, damit auf den Punkt, indem er das Werk den Unschuldigen widmet, deren
einzige Schuld darin bestand, dass sie anders waren als ihre Mörder:
Menschen, die
ihr Leben in Furcht vor anderen Kulturen verbringen und diese kein Verständnis
haben, neigen eher zu Taten des Hasses, der Gewalt und der Vernichtung gegen
einen vermeintlichen Feind.(32)
Durch die
Weltumspannende Migration ist die Fremdheit zur täglichen Erfahrung von
jedermann geworden. Der Migrant durchläuft Gefühlketten von Einsamkeit und
Angst, von Ablehnung und Bedrohung, von Verzweiflung und Hass. Wenn John Denver
über die Einsamkeit des Fremden singt und dann verzweifelt fragt: Is there
no one with a smile for me, no one with a hello in their eyes? Is there no one who will loves me
and help me through the dark and lonely night?,(33) dann drückt er das Empfinden vieler
Migranten aus. Fremdheit ist das Gefühl des “nicht dazu gehörends“. Das
Fremde ist das Unbekannte. Erol Yldiz erklärt so:
Fremdheit an
sich gibt es nicht. Fremdheit ist keine Eigenschaft von Dingen oder Menschen,
sondern beschreibt eine Beziehung zwischen ihnen., die sich in einer Vielfalt
von Gefühlen, Vorstellungen, Situationen äußert. Das Gefühl von Fremdheit
gehört zum Alltag eines jeden Menschen, und doch kann es irritieren und sogar
Angst erzeugen.(34)
Dem Fremden, dem
Unbekannten zu begegnen ist, die Erfahrung des menschlichen Daseins. Philipp
Hauenstein beschreibt die Spannung wie folgt:
Das „Eigene“
wie auch das „Fremde“ ist durchaus ambivalent. Das eigene vertraute ist
berechenbar und gibt Sicherheit. Auf der anderen Seite engt es auch ein und kann
die Luft zum Atmen nehmen. Das „Fremde“ dagegen stellt Eigenes in Frage,
verunsichert und bedroht. Gleichzeitig weckt es jedoch auch Neugier. Es lockt
mit neuen, bisher unbekannten Möglichkeiten des Erlebens.(35)
Das Leben
gestaltet sich in der Wechselwirkung von Geborgenheit und Wagnis. Diese
Spannung ist eine grundlegende menschliche Erfahrung und ist die Antriebskraft
der Kreativität. Das Kleinkind erlebt die Welt als eine ständige Begegnung mit
dem Unbekannten. Die Begegnung mit dem Unbekannten, dem Fremden, wird als
Abenteuer, als Wagnis erlebt. Das Bedürfnis zum Wagnis ist Bestandteil der
menschlichen Lernfähigkeit. Das kreative Wagnis aber geschieht aus dem
Bewusstsein der emotionalen Sicherheit heraus. Nach Larry Crabb ist der
Selbstwert von dem Gefühl der Geborgenheit abhängig.(36)
Verliert der Mensch seine Geborgenheit, empfindet er existenzielle Bedrohung.
Dieses wird als Stresse erlebt. Die kulturelle Anpassung, der Weg vom Fremden
zum Vertrautem, beschreibt Myron Loss als einen Prozess von Verletzbarkeit in
der Desorientierung und dem Erleiden vieler emotionaler Stürme.(37) Ohne
Geborgenheit wird dem Menschen die Begegnung mit dem Fremden nicht zur
kreativen Stimulierung, sondern zur beängstigenden Bedrohung und damit zur
Blockade.
Durch negative Erfahrungen
in der Vergangenheit entwickelt der Mensch sein Sicherheitsbedürfnis.
Abenteuertrieb und Sicherheitsbedürfnis stehen im Gegensatz zueinander. Ein
Mensch, der ohne Liebe und Geborgenheit aufwächst, erfährt den Anderen oft als
Bedrohung. Er erleidet das Gefühl von Minderwertigkeit und entwickelt ein
starkes Geltungsbedürfnis. Menschen ohne die innere Geborgenheit, ohne den
inneren Frieden, sind ruhelos und verbreiten so Unruhe. Von Angst bestimmte
Menschen sind krank und machen andere krank.(38)
Der Fremde
erlebt auch die Fremde als Heimatlosigkeit oder Verlorenheit. Ein Mensch ohne
eine Heimat hat keine Wurzeln. Ihm fehlt die Geborgenheit des Vertrauten.
Friedrich Nietzsche schreit das Empfinden des Fremden hinaus mit dem Satz „weh
dem der keine Heimat hat.“(39)
Diese Verlorenheit treibt den Menschen zu einer intensiven Suche nach festen
Bezugspunkten. Deswegen neigen Immigranten im neuen Umfeld auch dazu, in der
Erinnerung einer gloriosen Heimat zu leben. Das Negative verblasst und zurück
bleibt eine romantische Sehnsucht nach einer verloren heilen Welt. Der Türke
wird in Deutschland dann türkischer als in der Türkei und der Deutsche in
Brasilien deutscher als in Deutschland.
Die Kinder
dieser Immigranten jedoch haben es unendlich schwerer. Eines dieser drückt es
so aus: Wir haben keine Heimat, nur unsere Gedanken. Unseren Eltern bleibt
die Sehnsucht, uns nicht einmal das.(40) Die
Internationale Begegnung hat eine Unzahl dieser zwischen den Kulturen
zerrissenen Menschen hervor gebracht. Das von der unbestimmten Sehnsucht nach
einer nicht erfahrenen Heimat gequälte Third Culture Kid (TCK)(41) ist
in unseren Schulen keine Ausnahme mehr.
Die durch die
Globalisierung verursachte Nähe des „Fremden“ stellt das „Eigene“ in Frage.
Diese grundsätzliche psychologische Bedrohung löst bei vielen Menschen Angst
aus. Filme aus Hollywood werden im arabischen Umfeld gezeigt und untergraben
die moslemische Kultur. Die Darstellung anderer Strukturen, Lebensprinzipien
und Formen sind automatisch eine Rückfrage an die eigene Lebenssituation. Die
Begegnung mit dem Fremden provoziert deshalb bei vielen Menschen einen
Identifikationsverlust. Interkulturelle Erfahrungen wirken sich auf die
unterschiedlichen Komponenten der Menschlichen Identität aus. Das Selbstbild,
die Selbstwertgefühle und die Überzeugung, das eigene Handeln steuern zu können
kommen in Krise.(42) Das Eintauchen in eine
fremde Kultur führt zu Irritationen im zwischenmenschlichen Bereich, aber auch
zu einer tiefen Verunsicherung der eigenen Person.(43)
Diese Erfahrung wird Kulturschock genannt.(44)
Es ist die, aus
der interkulturellen Begegnung erwachsenen Verunsicherung provozierte Angst,
welche dann oft direkt in die scheinbare Sicherheit des kulturellen
Fundamentalismus führt. So entstehen Ghettos der Migranten und Ausländer. Dort
wahren sie eine Illusion einer ihr gehörigen Welt, mit eigener Sprache, eigenen
Gebräuchen, eigenen Gesetzen und einer eigenen Gerichtsbarkeit. Dieser Reflex
ist immer wieder zu beobachten. Das Festhalten an der traditionellen Kultur ist
keine Hilfe zur Existenzbewältigung in der völlig anderen Daseinssituation. Es
ist auch unmöglich die Ursprungskultur zu erhalten, sondern diese durchläuft in
der Auseinandersetzung mit der Gastkultur eine ständige Veränderung. Dieser
Verlust wird als reales Leiden erlebt.
Es ist aber
nicht nur der Migrant, der Fremdheit erlebt, sondern auch der bodenständige im
festen Umfeld verwurzelte Mensch. Sein zugezogener Nachbar ist so anders. Der
Fremde über den Gartenzaun, der die Sprache so schlecht spricht, der sich
anders kleidet, der die Kinder anders erzieht, ist Grund für Verunsicherung.
Alles Fremde kann Angst machen. So kommt es häufig zu einer Ausgrenzung der
Zuwanderer und treibt diese immer weiter in die Isolierung und Fremdartigkeit
hinein. Fremdheit wird nicht durch physische Nähe und dem wahrnehmen des
Anderen überwunden. Fremdheit verwandelt sich nur durch interaktive Beziehung
in Vertrautheit. Das geschieht durch die Begegnung von Mensch zu Mensch.
Deswegen ist die Integration nicht institutionell machbar. Institutionelle
staatliche Bemühungen sind in der Regel gescheitert. Diese können höchsten eine
Basis zur Begegnung schaffen, aber niemals die zwischenmenschliche Begegnung
ersetzen.
1 Frank Kürschner-Pelkmann,
Die globale Krise – eine Krise der Globalisierung, im Jahrbuch Mission 1999
Glaube und Globalität (Missionshilfe Verlag, Hamburg: 1999)51
2 Dieser Begriff wurde von
Benjamin Barber durch den Titel seines Buches Jihad versus McWorld
geprägt. Benjamin Barber, Jihad
vs. McWorld. How Globalism and Tribalism are Reshaping The World. (Ballantine
Books, New York: 1995)
3 Bernd Wagner, Hrg., Kulturelle
Globalisierung – Zwischen Weltkultur und kultureller Fragmentierung
(Klartext Verlag, Essen:2001)11
4 Peter Garber im IMF
Economic Forum, Living with private capital flows veröffentlich im IMF
Survey, Volume 32, Nr. 22 vom 15. 12.2003, (International Monetary Fund,
Washington D.C.)368
5 World Commisssion on the Social Dimension of
Globalization A Fair Globalization: Creating Opportunities for All (ILO
Publications, Geneva:
2004) Synopsis des Berichts auf Deutsch S.2
6 Giandomenico Picco u.A., Brücken
für die Zukunft – Eine Initiative von Kofi Annan, deutsche Ausgabe durch
die Stiftung für Entwicklung und Frieden, (S. Fischer Verlag, Frankfurt
a.M.:2001)20
7 Richard Sennett, Die
Kultur des neuen Kapitalismus (BvT, Berlin: 2007)107
8 Baudrillard, Jean mit Romain Leick, Interview: Das ist der vierte
Weltkrieg in: Spiegel. November 30, 2002.
9 World Commisssion on the Social Dimension of
Globalization A Fair Globalization: Creating Opportunities for All (ILO
Publications, Geneva:
2004) Synopsis des Berichts auf Deutsch S.1
10 World Commisssion on the Social Dimension of
Globalization A Fair Globalization: Creating Opportunities for All (ILO
Publications, Geneva:
2004) Synopsis des Berichts auf Deutsch S.3
11 World Commisssion on the Social Dimension of
Globalization, Facts and Figures on Globalization (ILO Publications, Geneva: 4. August
2002)
12 Nach dem WHI (Welt Hunger
Index) Bonn, Washington D. C., Dublin
Oktober 2009, http://www.welthungerhilfe.de/fileadmin/media/pdf/WHI/Welthunger-Index-2009.pdf
13 ILO
Beschäftigungsbericht 2001 in ILO-Nachrichten 1-2001, (ILO-Vertretung,
Bonn)1
14 World Commisssion on the Social Dimension of
Globalization A Fair Globalization: Creating Opportunities for All (ILO
Publications, Geneva:
2004) Synopsis des Berichts auf Deutsch S.3
15 Baudrillard, Jean mit Romain Leick, Interview: Das ist der vierte
Weltkrieg in: Spiegel. November 30, 2002.
16 Norman Stone, Wer der
Türkei an den Kragen will in Frankfurter Allgemeine Zeitung.
November 22, 2003
17 Peter Neuling, Die
acht Wohlstandsgesetze (Amaletha Signum Verlag, Wien: 2007)147
18 Der „Estado de São Paulo“
ist mit 36 350 000 das bevölkerungsreichste
Bundesland de Brasilianischen Föderativen Republik. Es darf nicht mit seiner
gleichnamigen Hauptstadt verwechselt werden.
19 Editora Abril, Almanaque
Abril – Brasil 2001 (Editora Abril, São Paulo: 2001)116
20 Günter Schucher, Chinas neues Arbeitsvertragsgesetz – Stärkung
der Schwachen oder nur Beruhigungspille? in China aktuell 4/2006, Seite 59; GIGA Institute of Asian
Studies (GIGA Institut für Asien-Studien) Hamburg
21 Die Angaben entsprechen
dem Stand vom 31.12.2002, Quelle Statistisches Bundesamt Deutschland, 2004,
Webseite destatis.de/cgi-bin ,Tabelle: Bevölkerung
nach Geschlecht und Staatsangehörigkeit.
22 Quelle Statistisches
Bundesamt Deutschland, 2004, Webseite destatis.de/cgi-bin , Tabelle: Räumliche Bevölkerungsbewegungen
(Wanderungen) zwischen Deutschland und dem Ausland Stand: 1.10.2003
23 Statistische Ämter des
Bundes und der Länder, 2002, Wanderungen über Gemeindegrenzen nach der
Staatsangehörigkeit.
24 U.S. Census Bureau, Statistical Abstract of
the United States:
2003, Population, Tabelle No.5 und 7
25 Eidgenossenschaft
Schweiz, Bundesamt für Statistik, Neuchatel
26 Bundesamt für Migration
und Flüchtlinge, Migrationsbericht 2007, 6.2,
http://www.bamf.de/cln_092/SharedDocs/Anlagen/DE/Migration/Publikationen/Forschung/Migrationsberichte/migrationsbericht-2007,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/migrationsbericht-2007.pdf
27 Unhcr Veröffentlichung,
Nachrichten vom 24.April 2004, http://www.unhcr.ch/cgi-bin/texis/vtx/statistics (UNHCR, Genf: 2004) The Office of the United Nations High Commissioner for
Refugees (Unhcr) was established on December 14, 1950 by the United
Nations General Assembly.
28 Unhcr Veröffentlichung, Executive Committee, 17. meeting EC/50?SC/CRP.10
(UNHCR, Genf:2000)2
29 Unhcr Veröffentlichung, Refugees by numbers - edition 2003
(UNHCR, Genf: 2003)10
30 Hermann Kinder, Werner
Hilgermann, Hrsg., dtv-Atlas zur Weltgeschichte – Karten und chronlogischer
Abriss 23. Aufl. 1989 (dtv, München: 1989)221
31 Julia Kristeva, Fremde
sind wir selbst (Suhrkamp, Frankfurt a.M.: 1990)
32 Giandomenico Picco u.A., Brücken
für die Zukunft – Eine Initiative von Kofi Annan, deutsche Ausgabe durch
die Stiftung für Entwicklung und Frieden, (S. Fischer Verlag, Frankfurt
a.M.:2001)11
33 Verfasser unbekannt No
one Lyriks, auf der Musik CD John Denver, foreever, John (BMG
Entertainment: 1998) hit 6
34 Erol Yildez, Fremdheit
und Integration (Domino BLT, Bergisch Gladbach: 1999)52
35 Philipp Hauenstein, Mittendrin
– und doch am Rande (Erlanger Verlag für Mission und Ökumene, Erlangen:
2002) 28
36 Lawrence J. Crabb, Die
Last des anderen (Brunnenverlag, Basel Giessen: 1977)57
37 Myron Loss, Culture Shock (Ligth and
Life Press, Winona Lake:1883)47
38 Wolfgang Schmidtbauer, Lebensgefühl
Angst (Herder, Freiburg, Basel, Wien: 2005)17ff
39 Friedrich Wilhelm
Nietzsche, Vereinsamt (1887)
40 C. Hernando, Wo liegt
unsere Sehnsucht, in F. Biondi et.
Al. Hrsg., Zwischen Fabrik und Bahnhof, (Con Edition, Bremen: 1981)162
41 David E. Pollock, Ruth van Reken, und Georg
Pflüger, Third Culture Kids: Aufwachsen in mehreren Kulturen
42 Astrid Erll, Marion
Gymnich, Interkulturelle Kompetenzen (Klett, Stuttgart:2007)64
43 Annekatrin Hoppe, So
war ich nicht, so bin ich nicht! Vom Einfluss des kulturellen Umfelds auf die
eigene Identität in Dagmar Kumbier, Friedemann Schulz von Thun,
Interkulturelle Kommunikation: Methoden Modelle, Beispiele (Rowohlt, Reinbeck
b. Hamburg: 2006)175
44 Astrid Erll, Marion
Gymnich, Interkulturelle Kompetenzen (Klett, Stuttgart:2007)67-69
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