Es ist die
Aufgabe jeglicher theologischen Arbeit die Bedeutung des Heils durch Christus
für die jeweiligen konkreten und real lebenden Menschen zu definieren.
Theologie ist die Lehre von Gott.(1) Christliche Theologie geht von der Prämisse des existierenden Gottes aus. Je
nach Prägung werden dabei unterschiedliche Aspekte betont. Deswegen ist es
schwer eine allgemein gültige Definition über Theologie zu finden. Fast jeder
Theologe definiert anders.(2) Rudolf Eisler formuliert im Wörterbuch der philosophischen Begriffe wie
folgt: Theologie: theologia (theologik), Gotteslehre, Wissenschaft von
Gottes Beziehung zur Welt, von der Beziehung des Menschen zu Gott.(3)
Ich selber
verstehe Theologie als die intellektuelle und philosophische Arbeit, um die
religiösen Lehren auf eine relevanten Art so zu formulieren, dass diese in
einem direkten Bezug auf die reale Situation, in dem sich die Welt und die
Menschen befinden, angewandt werden können. Theologie muss deshalb aus dem
realen Leben pulsieren und dieses Leben gestalten. Die biblische Theologie
orientiert sich dabei an den Schriften des Alten und des Neuen Testamentes und
wendet diese auf die Fragen der Gesellschaft an. Die Theologie ist die Kunst,
die alten Aussagen der Schrift mit einer Relevanz für die heutigen Tage zu
übersetzen. Theologische Arbeit basiert auf einer gründlichen Exegese, geht aber
darüber hinaus, da sie biblischen Prinzipen auf alle aktuellen, realen und
konkreten Lebenssituationen anwendet. Deswegen ist es unmöglich Theologie nur
im Elfenbeinturm der Bibliotheken und Studierzimmer zu betreiben, sondern sie
muss ihren Sitz im realen Leben der Menschen haben. Damit finde ich mich bei
dem Ansatz der „Kontextualen Theologie“ von David Bosch wieder.(4)
Tobias Feix fasst die Aussagen
von David Bosch zur kontextuelle
Theologie so zusammen:
1. Die westliche
Theologie hat bisher der Legitimation der bestehenden Verhältnisse in der Welt
nur gedient.
2. Die Welt ist kein
statisches Gebäude, das nur erklärt werden muss, sondern eine wirkliche und
menschliche Welt, die verändert werden muss.
3. Der Einsatz für
Arme und Randgruppen ist der erste Schritt im theologischen Arbeiten.
4. Theologen sitzen nicht
im Elfenbeinturm ihrer Wissenschaft, sondern müssen mit anderen und Betroffenen
gemeinsam Theologie betreiben.
5. Theologie ist in
erster Linie Tat und nicht Wissen.(5)
Diese Art von
theologischer Arbeit findet im Spannungsfeld zwischen den Polen von Besinnung
auf Geschichte und Tradition und dem Gegenwartsbezug, beziehungsweise der
Zukunftsperspektive statt. Obwohl dabei eine gründliche historisch-analytischen
Erforschung der überlieferten Heiligen Schriften Voraussetzung ist, liegt die
Existenzberechtigung der Theologie nicht in der Exegese, sondern in der
relevanten, pragmatischen und zukunftsorientierten Lebensgestaltung der
Menschen. Somit wird die Empirische Forschung zum wesentlichen Bestand der
Theologie.
Beide
Komponenten sind wichtig. Die Exegese, die Kirchen- und Theologiegeschichte
bildet dabei die traditionelle, fundamentale und statische Komponente. Die
konkrete Umsetzung für das Leben der Menschen ist die ethische, kreative und
dynamischen Komponente und findet gestaltend und wegweisend in die reale
Lebenssituation der Menschen statt. Deswegen ist Kontextuale Theologie
immer eine Theologie der Sendung und damit Missionstheologie.
Da niemand alle
Aspekte des menschlichen Dasein erfassen kann, ist der Dialog, das Forschen in
der interdisziplinären Beziehung keine Option, sondern ein muss. Das heißt aber
auch, dass die Theologen Beziehungen haben müssen, und zwar von Mensch zu
Mensch. Theologie, die nicht in Beziehung zum Menschen kommt, was bei Theologen
ohne Beziehungen zu Menschen logische Konsequenz ist, ist Mist. Nun ich weiß,
dass Mist, wenn er auf den Acker kommt, guter Dünger sein kann und somit auch
einen gewissen Wert hat. Dünger ist aber weder Samen noch Frucht.
Theologische
Arbeit im Schnittpunkt von Vergangenheit und Zukunft
In dieser
Theologie geht es um Gott, der war, der ist und der sein wird, dem Ewigen.
Wissen über Gott ist uns durch das Zeugnis der Menschen, die Ihm begegnet sind,
zugänglich. Diese Erfahrungen liegen in der Vergangenheit. Sie wurden durch die
Schreiber der Bibel aufgezeichnet. Diese Berichte, Aussagen und Überlegungen zu
erforschen ist eine wichtige und herausfordernde Aufgabe. Die Agenda der
Theologischen Arbeit sollte von der Bibel aber auch von der Welt, mit ihrem
Zeitgeist, geschrieben werden. Theologisch zu reflektieren, ohne sich auf die
Heilige Schriften zu gründen ist philosophische Träumerei. Eine Bibelauslegung
jedoch ohne wirkliche Bedeutung für das reale, konkrete Leben ist eine
nutzlose, absurde, gefährliche und sogar destruktive Kunst. Der Rückzug aus der
„bösen Welt“ hinein in die Exklusivität einer elitären Frömmigkeit ist oft ein
wesentliches Kennzeichen von pietistischen Gemeinschaften.(6)
Dieses gilt auch für viele freikirchliche Gemeinden.
Die Freien
evangelischen Gemeinden sind im Kontext des Pietismus entstanden. Ebenso hat
die Brüderbewegung die Ekklesiologie beeinflusst. Darby betonte in seiner
Ekklesiologie die Exklusivität der Herausgerufenen zur vollkommenen heiligen
Gemeinschaft. Damit ist ein Graben zwischen Gemeinde und Welt vorprogrammiert.
Bibelgläubigkeit geht oft mit Weltfremdheit einher. Das Evangelium von Jesus
Christus versteht sich aber absolut nicht als weltfremd. Es ist direkt und
konkret an die Welt gerichtet (Joh 3,16): So sehr hat Gott die Welt geliebt
dass er seinen Sohn gab ....
Die Gestaltung
der Gegenwart, des „Jetzt“, ist die konkrete Aufgabe einer
gesellschaftsrelevanten Theologie. Dabei ist die Beachtung des „Morgen“, das
heißt der Zukunft unabdingbar, und zwar, weil das Heute das Morgen beeinflusst.
Ob theologische Arbeit relevant ist, das heißt für die Menschen Bedeutung hat,
wird daran gemessen, ob sie für die Daseinsbewältigung Hilfe gibt, das heißt,
dass sie Kultur gestaltet(7). Mit
anderen Worten, ob durch die theologische Arbeit der Lebenskampf des Einzelnen sinnvoll
wird. Nur was uns sinnvoll erscheint, tun wir. Viktor Frankl(8) führt
in der von Ihm entwickelten Logotherapie aus, dass der Sinn, den der Mensch für
etwas gibt oder findet, seine emotionale Gesundheit bestimmt.(9) Ich
stelle fest, dass die Mehrheit der Menschen in Deutschland seelisch krank ist.
Laut Ken
Williams bestimmen die Grundüberzeugungen eines Menschen sein Handeln.(10) Es
sind die Überzeugungen, die über Sinn oder Unsinn einer Aussage, einer Tat oder
einer Sache entscheiden. Durch die theologischen Überzeugungen, das heißt durch
den Bezug zur Transzendenz, findet der Mensch seine Motivation für das Leben.
Was wir glauben, sind wir.
Nach Lothar
Käser sind Kulturen Strategien der Daseinsbewältigung.(11) Jede
menschliche Gemeinschaft ist durch ein Credo, das heißt gemeinsame
Grundüberzeugungen, verbunden. Im Kern einer jeden Kultur ist ein Gottesbild,
welches das jeweilige Weltbild bestimmt. Es ist die Religion, die dem
jeweiligen Handeln Wert, das heißt ethische Bedeutung gibt. Dadurch entsteht
zwischen Religion und Daseinsbewältigung, das heißt der Kultur, eine nicht
auflösbare Symbiose.
Deshalb ist es
unmöglich Theologie a-politisch zu betreiben. Die Glaubensüberzeugungen,
bestimmen das Handeln des Einzelnen und der Gesellschaften. Somit ist die Theologie,
welche unseren Glauben und damit unser Handeln bestimmt, entscheidend für das
gesamte menschliche Leben und Zusammenleben. Kirche und Gemeinde tritt dadurch
in eine politische Dimension. Politische Theologie ist immer missionarische
Theologie. Die Weigerung der Christen, die Gesellschaft in der sie leben zu
gestalten, ist die Verleugnung ihrer eigenen Glaubensüberzeugungen. Nichtmissionarische
Theologie ist die Verleugnung der Existenzberechtigung der Theologie an sich.
Die Beziehung
zwischen christlicher Gemeinde und Lebensgestaltung ist kein neues Thema. Das
Bewusstsein ihrer Sendung führte die Kirche seit ihrem Entstehen oft in den Widerspruch zu den vorherrschenden
Machtsystemen. Die Konsequenz war oft die Verfolgung der Christen. Ein Beispiel dazu ist
die Barmer theologische Erklärung. Sie wurde zur Basis der bekennenden Kirche
unter dem Naziregime.(12) Die Geschichte der christlichen Kirche ist
gekennzeichnet als eine Bewegung der Märtyrer, weil glaubende und bekennende
Christen immer in den Widerspruch zum Unheil traten. Die Bibel ist das Buch
schlechthin, welches Gottesbezug und die Gestaltung der menschlichen Existenz
in Einklang bringt. Sie ist damit direkt politisch.
Im Gegensatz
dazu wird jedoch die traditionelle Theologie oft ausschließlich als Studium der
Vergangenheit betrieben. Die Konzentration der theologischen Studiengänge liegt
auf der Erforschung der tradierten Schriften. Die wesentliche Lernleistung
besteht dabei auf dem Erlernen der „Alten Sprachen“ und der
Entschlüsselung und Interpretation der Texte für die Menschen, an die sie
einmal gerichtet waren. Diese Menschen sind aber bereits alle verstorben. Ihre
Lebensumstände waren anders, als die heutigen. Eine rein traditionsgebundene
Theologie ist deshalb vom Tod gekennzeichnet. Wie ein Kadaver ist sie verstaubt
und oder stinkt.
Dabei möchte ich
die Arbeit an den tradierten Grundlagen des Christentums nicht abwerten. Sie
ist notwendig, aber allein dieses reicht nicht aus. Die Basis für die
theologische Arbeit ist der geschriebene Text. Das Entschlüsseln der Bedeutung
dieser Texte ist wichtig. Dabei wird die Suche nach dem wirklichen Sinn, bei
allem ernsthaften und gründlichen Forschen, immer wieder an seine Grenzen
geführt. Das Verstehen eines Textes wird durch das subjektive Aufnehmen des
Lesenden beeinflusst. Auf der anderen Seite ist die Gewichtung einer Aussage
nur durch Tonfall und Körpersprache des Redenden zu finden. Da wir diese bei
einem geschriebenen Text nicht haben, wird die Interpretation von subjektiven
Annahmen und Spekulationen des Exegeten bestimmt.
Die Exegese, die
zentrale Arbeit für die Auslegung der Bibel, sucht nach der ursprünglichen
Bedeutung des Textes. Die exegetische Arbeit ist in der Theologie die Grundlage
derselben, jedoch niemals Ziel in sich. Die Predigt, das Resultat der
theologischen Arbeit, hat die Aufgabe, den Menschen in seiner Lebensrealität zu
erreichen. Es geht um die Bedeutung des Textes für das jetzt und heute.
Die deutsche
evangelikale Theologie ist geprägt von einer Position der Abgrenzung. Es wird
oft gesagt, wogegen „man“ steht, statt wofür „man“ lebt. Eine relevante
Theologie richtet sich auf eine positive Orientierung. Das heißt, sie ist von
einer Leben bejahenden und Weg weisenden Haltung, statt einer beurteilende und
kritisierende Stellungnahme geprägt. Das heißt, sie gibt die Antwort auf die
konkrete Frage der Menschen „Wie können wir denn leben?“ Da die Kirchen leer
sind und die Mehrheit der Menschen in unserem Lande die Lösungen für ihre
Lebensproblematik nicht in der christlichen Kirche oder Gemeinde suchen, können
wir nur feststellen, das Theologie und Missiologie versagt haben. Menschen, die
an der Sinnlosigkeit ihrer Existenz verzweifeln füllen die psychosomatischen
Kliniken, aber nicht die Sprechzimmer der Theologen. Warum ist das so? Hat die
Theologie diesen Menschen nichts zu sagen?
1 griechisch: θεολογία theología, von θεός theós
„Gott“ und λόγος
lógos, „Wort“,
übertragen auch „Lehre“, „Sinn“, „Rede“, „Vernunft“,
Wikipedia, 15. Juni 2009
2 Bultmann: "Die Theologie ist nichts
anderes als die wissenschaftliche Selbstbesinnung über die eigene Existenz als
durch Gott bestimmte; sie ist also die wissenschaftliche Entfaltung dessen, was
im einfachen Glauben schon da ist. Aber nicht so, als wäre der Glaube eine
niedrigere Stufe, über die es kraft der Wissenschaft hinauszukommen gelte zur
Gnosis." Rudolf
Bultmann, Zur Frage der Christologie, 1927, in: Glauben und Verstehen,
Bd. 1, 8. Aufl. 1980, S. 88f. Karl Barth „Das letzte Wort, das ich als
Theologe und auch als Politiker zu sagen habe, ist nicht ein Begriff wie
'Gnade', sondern ist ein Name: Jesus Christus. Er ist die Gnade, und er ist das
Letzte, jenseits von Welt und Kirche und auch von Theologie. Wir können ihn
nicht einfach 'einfangen'. Aber wir haben es mit ihm zu tun. Um was ich mich in
meinem langen Leben bemüht habe, war in zunehmenden Maße, diesen Namen
hervorzuheben und zu sagen: dort … Dort ist auch der Antrieb zur Arbeit, zum
Kampf, auch der Antrieb zur Gemeinschaft, zum Mitmenschen. Dort ist alles, was
ich in meinem Leben in Schwachheit und Torheit probiert habe. Aber dort ist’s
…“ Karl Barth, Letzte Zeugnisse, EVZ-Verlag, Zürich, 1970/2,
S. 30/31
3 Rudolf Eisler, Wörterbuch
der philosophischen Begriffe,
http://www.textlog.de/eisler_woerterbuch.html,
2004
4 David Bosch, Transforming
Mission.
Paradigm Shifts in Theology of Mission. (Maryknoll:
Orbis 1991)
425
6 Manfred
Jakubowski-Tiessen, Eigenkultur und Traditionsbildung, in Hartmut Lehmann,
Hrsg., Geschichte des Pietismus Bd 4 (Göttingen: Vandenhoeck &
Ruprecht, 2004) 199
7 Lothar Käser, Fremde
Kulturen – Eine Einführung in die Ethnologie (Bad Liebenzell: Verlag der
Liebenzeller Mission, 1997)35
8 Viktor Emil Frankl, (* 26. März 1905
in Wien; † 2. September 1997
ebenda) war ein österreichischer Neurologe und Psychiater. Er begründete die Logotherapie bzw. Existenzanalyse („Dritte Wiener Schule
der Psychotherapie“).
9 Viktor E. Frankl, ... trotzdem Ja zum Leben sagen:
Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager, (München: Deutscher Taschenbuch Verlag; Auflage:
Neuaufl. 1. Oktober 1998)
10 Ken Williams, Sharping Your Interpersonal
Skills, (International Training Partners, Workbook 2004 Edition)3 Our
core beliefs are demonstrated not by what we say they are, but how we live them
out.
11 Lothar Käser, Fremde
Kulturen – Eine Einführung in die Ethnologie (Bad Liebenzell: Verlag der
Liebenzeller Mission, 1997)35
12 Die Barmer Theologische
Erklärung wurde wesentlich von Karl Barth ausgearbeitet und nach einer
Erläuterung von Hans Assmussen auf der ersten Bekenntnissynode vom 29. bis 31.
Mai 1934 in Wuppertal-Barmen verabschiedet.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen