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Dienstag, 25. September 2012

Theologie und Mission



Es ist die Aufgabe jeglicher theologischen Arbeit die Bedeutung des Heils durch Christus für die jeweiligen konkreten und real lebenden Menschen zu definieren. Theologie ist die Lehre von Gott.(1) Christliche Theologie geht von der Prämisse des existierenden Gottes aus. Je nach Prägung werden dabei unterschiedliche Aspekte betont. Deswegen ist es schwer eine allgemein gültige Definition über Theologie zu finden. Fast jeder Theologe definiert anders.(2) Rudolf Eisler formuliert im Wörterbuch der philosophischen Begriffe wie folgt: Theologie: theologia (theologik), Gotteslehre, Wissenschaft von Gottes Beziehung zur Welt, von der Beziehung des Menschen zu Gott.(3)
Ich selber verstehe Theologie als die intellektuelle und philosophische Arbeit, um die religiösen Lehren auf eine relevanten Art so zu formulieren, dass diese in einem direkten Bezug auf die reale Situation, in dem sich die Welt und die Menschen befinden, angewandt werden können. Theologie muss deshalb aus dem realen Leben pulsieren und dieses Leben gestalten. Die biblische Theologie orientiert sich dabei an den Schriften des Alten und des Neuen Testamentes und wendet diese auf die Fragen der Gesellschaft an. Die Theologie ist die Kunst, die alten Aussagen der Schrift mit einer Relevanz für die heutigen Tage zu übersetzen. Theologische Arbeit basiert auf einer gründlichen Exegese, geht aber darüber hinaus, da sie biblischen Prinzipen auf alle aktuellen, realen und konkreten Lebenssituationen anwendet. Deswegen ist es unmöglich Theologie nur im Elfenbeinturm der Bibliotheken und Studierzimmer zu betreiben, sondern sie muss ihren Sitz im realen Leben der Menschen haben. Damit finde ich mich bei dem Ansatz der „Kontextualen Theologie“  von David Bosch wieder.(4)
Tobias Feix fasst die Aussagen von David Bosch zur kontextuelle Theologie  so zusammen:

1.      Die westliche Theologie hat bisher der Legitimation der bestehenden Verhältnisse in der Welt nur gedient.
2.      Die Welt ist kein statisches Gebäude, das nur erklärt werden muss, sondern eine wirkliche und menschliche Welt, die verändert werden muss.
3.      Der Einsatz für Arme und Randgruppen ist der erste Schritt im theologischen Arbeiten.
4.      Theologen sitzen nicht im Elfenbeinturm ihrer Wissenschaft, sondern müssen mit anderen und Betroffenen gemeinsam Theologie betreiben.
5.      Theologie ist in erster Linie Tat und nicht Wissen.(5)
  
Diese Art von theologischer Arbeit findet im Spannungsfeld zwischen den Polen von Besinnung auf Geschichte und Tradition und dem Gegenwartsbezug, beziehungsweise der Zukunftsperspektive statt. Obwohl dabei eine gründliche historisch-analytischen Erforschung der überlieferten Heiligen Schriften Voraussetzung ist, liegt die Existenzberechtigung der Theologie nicht in der Exegese, sondern in der relevanten, pragmatischen und zukunftsorientierten Lebensgestaltung der Menschen. Somit wird die Empirische Forschung zum wesentlichen Bestand der Theologie.
Beide Komponenten sind wichtig. Die Exegese, die Kirchen- und Theologiegeschichte bildet dabei die traditionelle, fundamentale und statische Komponente. Die konkrete Umsetzung für das Leben der Menschen ist die ethische, kreative und dynamischen Komponente und findet gestaltend und wegweisend in die reale Lebenssituation der Menschen statt. Deswegen ist Kontextuale Theologie immer eine Theologie der Sendung und damit Missionstheologie.
Da niemand alle Aspekte des menschlichen Dasein erfassen kann, ist der Dialog, das Forschen in der interdisziplinären Beziehung keine Option, sondern ein muss. Das heißt aber auch, dass die Theologen Beziehungen haben müssen, und zwar von Mensch zu Mensch. Theologie, die nicht in Beziehung zum Menschen kommt, was bei Theologen ohne Beziehungen zu Menschen logische Konsequenz ist, ist Mist. Nun ich weiß, dass Mist, wenn er auf den Acker kommt, guter Dünger sein kann und somit auch einen gewissen Wert hat. Dünger ist aber weder Samen noch Frucht.
Theologische Arbeit im Schnittpunkt von Vergangenheit und Zukunft
In dieser Theologie geht es um Gott, der war, der ist und der sein wird, dem Ewigen. Wissen über Gott ist uns durch das Zeugnis der Menschen, die Ihm begegnet sind, zugänglich. Diese Erfahrungen liegen in der Vergangenheit. Sie wurden durch die Schreiber der Bibel aufgezeichnet. Diese Berichte, Aussagen und Überlegungen zu erforschen ist eine wichtige und herausfordernde Aufgabe. Die Agenda der Theologischen Arbeit sollte von der Bibel aber auch von der Welt, mit ihrem Zeitgeist, geschrieben werden. Theologisch zu reflektieren, ohne sich auf die Heilige Schriften zu gründen ist philosophische Träumerei. Eine Bibelauslegung jedoch ohne wirkliche Bedeutung für das reale, konkrete Leben ist eine nutzlose, absurde, gefährliche und sogar destruktive Kunst. Der Rückzug aus der „bösen Welt“ hinein in die Exklusivität einer elitären Frömmigkeit ist oft ein wesentliches Kennzeichen von pietistischen Gemeinschaften.(6) Dieses gilt auch für viele freikirchliche Gemeinden.
Die Freien evangelischen Gemeinden sind im Kontext des Pietismus entstanden. Ebenso hat die Brüderbewegung die Ekklesiologie beeinflusst. Darby betonte in seiner Ekklesiologie die Exklusivität der Herausgerufenen zur vollkommenen heiligen Gemeinschaft. Damit ist ein Graben zwischen Gemeinde und Welt vorprogrammiert. Bibelgläubigkeit geht oft mit Weltfremdheit einher. Das Evangelium von Jesus Christus versteht sich aber absolut nicht als weltfremd. Es ist direkt und konkret an die Welt gerichtet (Joh 3,16): So sehr hat Gott die Welt geliebt dass er seinen Sohn gab ....
Die Gestaltung der Gegenwart, des „Jetzt“, ist die konkrete Aufgabe einer gesellschaftsrelevanten Theologie. Dabei ist die Beachtung des „Morgen“, das heißt der Zukunft unabdingbar, und zwar, weil das Heute das Morgen beeinflusst. Ob theologische Arbeit relevant ist, das heißt für die Menschen Bedeutung hat, wird daran gemessen, ob sie für die Daseinsbewältigung Hilfe gibt, das heißt, dass sie Kultur gestaltet(7). Mit anderen Worten, ob durch die theologische Arbeit der Lebenskampf des Einzelnen sinnvoll wird. Nur was uns sinnvoll erscheint, tun wir. Viktor Frankl(8) führt in der von Ihm entwickelten Logotherapie aus, dass der Sinn, den der Mensch für etwas gibt oder findet, seine emotionale Gesundheit bestimmt.(9) Ich stelle fest, dass die Mehrheit der Menschen in Deutschland seelisch krank ist.
Laut Ken Williams bestimmen die Grundüberzeugungen eines Menschen sein Handeln.(10) Es sind die Überzeugungen, die über Sinn oder Unsinn einer Aussage, einer Tat oder einer Sache entscheiden. Durch die theologischen Überzeugungen, das heißt durch den Bezug zur Transzendenz, findet der Mensch seine Motivation für das Leben. Was wir glauben, sind wir.
Nach Lothar Käser sind Kulturen Strategien der Daseinsbewältigung.(11) Jede menschliche Gemeinschaft ist durch ein Credo, das heißt gemeinsame Grundüberzeugungen, verbunden. Im Kern einer jeden Kultur ist ein Gottesbild, welches das jeweilige Weltbild bestimmt. Es ist die Religion, die dem jeweiligen Handeln Wert, das heißt ethische Bedeutung gibt. Dadurch entsteht zwischen Religion und Daseinsbewältigung, das heißt der Kultur, eine nicht auflösbare Symbiose.
Deshalb ist es unmöglich Theologie a-politisch zu betreiben. Die Glaubensüberzeugungen, bestimmen das Handeln des Einzelnen und der Gesellschaften. Somit ist die Theologie, welche unseren Glauben und damit unser Handeln bestimmt, entscheidend für das gesamte menschliche Leben und Zusammenleben. Kirche und Gemeinde tritt dadurch in eine politische Dimension. Politische Theologie ist immer missionarische Theologie. Die Weigerung der Christen, die Gesellschaft in der sie leben zu gestalten, ist die Verleugnung ihrer eigenen Glaubensüberzeugungen. Nichtmissionarische Theologie ist die Verleugnung der Existenzberechtigung der Theologie an sich.
Die Beziehung zwischen christlicher Gemeinde und Lebensgestaltung ist kein neues Thema. Das Bewusstsein ihrer Sendung führte die Kirche seit ihrem Entstehen oft in den  Widerspruch zu den vorherrschenden Machtsystemen. Die Konsequenz war oft die  Verfolgung der Christen. Ein Beispiel dazu ist die Barmer theologische Erklärung. Sie wurde zur Basis der bekennenden Kirche unter dem Naziregime.(12)  Die Geschichte der christlichen Kirche ist gekennzeichnet als eine Bewegung der Märtyrer, weil glaubende und bekennende Christen immer in den Widerspruch zum Unheil traten. Die Bibel ist das Buch schlechthin, welches Gottesbezug und die Gestaltung der menschlichen Existenz in Einklang bringt. Sie ist damit direkt politisch.
Im Gegensatz dazu wird jedoch die traditionelle Theologie oft ausschließlich als Studium der Vergangenheit betrieben. Die Konzentration der theologischen Studiengänge liegt auf der Erforschung der tradierten Schriften. Die wesentliche Lernleistung besteht dabei auf dem Erlernen der „Alten Sprachen“ und der Entschlüsselung und Interpretation der Texte für die Menschen, an die sie einmal gerichtet waren. Diese Menschen sind aber bereits alle verstorben. Ihre Lebensumstände waren anders, als die heutigen. Eine rein traditionsgebundene Theologie ist deshalb vom Tod gekennzeichnet. Wie ein Kadaver ist sie verstaubt und oder stinkt.
Dabei möchte ich die Arbeit an den tradierten Grundlagen des Christentums nicht abwerten. Sie ist notwendig, aber allein dieses reicht nicht aus. Die Basis für die theologische Arbeit ist der geschriebene Text. Das Entschlüsseln der Bedeutung dieser Texte ist wichtig. Dabei wird die Suche nach dem wirklichen Sinn, bei allem ernsthaften und gründlichen Forschen, immer wieder an seine Grenzen geführt. Das Verstehen eines Textes wird durch das subjektive Aufnehmen des Lesenden beeinflusst. Auf der anderen Seite ist die Gewichtung einer Aussage nur durch Tonfall und Körpersprache des Redenden zu finden. Da wir diese bei einem geschriebenen Text nicht haben, wird die Interpretation von subjektiven Annahmen und Spekulationen des Exegeten bestimmt.
Die Exegese, die zentrale Arbeit für die Auslegung der Bibel, sucht nach der ursprünglichen Bedeutung des Textes. Die exegetische Arbeit ist in der Theologie die Grundlage derselben, jedoch niemals Ziel in sich. Die Predigt, das Resultat der theologischen Arbeit, hat die Aufgabe, den Menschen in seiner Lebensrealität zu erreichen. Es geht um die Bedeutung des Textes für das jetzt und heute.
Die deutsche evangelikale Theologie ist geprägt von einer Position der Abgrenzung. Es wird oft gesagt, wogegen „man“ steht, statt wofür „man“ lebt. Eine relevante Theologie richtet sich auf eine positive Orientierung. Das heißt, sie ist von einer Leben bejahenden und Weg weisenden Haltung, statt einer beurteilende und kritisierende Stellungnahme geprägt. Das heißt, sie gibt die Antwort auf die konkrete Frage der Menschen „Wie können wir denn leben?“ Da die Kirchen leer sind und die Mehrheit der Menschen in unserem Lande die Lösungen für ihre Lebensproblematik nicht in der christlichen Kirche oder Gemeinde suchen, können wir nur feststellen, das Theologie und Missiologie versagt haben. Menschen, die an der Sinnlosigkeit ihrer Existenz verzweifeln füllen die psychosomatischen Kliniken, aber nicht die Sprechzimmer der Theologen. Warum ist das so? Hat die Theologie diesen Menschen nichts zu sagen?


1 griechisch: θεολογία theología, von θεός theós „Gott“ und λόγος  lógos, „Wort“, übertragen auch „Lehre“, „Sinn“, „Rede“, „Vernunft“, Wikipedia, 15. Juni 2009
2 Bultmann: "Die Theologie ist nichts anderes als die wissenschaftliche Selbstbesinnung über die eigene Existenz als durch Gott bestimmte; sie ist also die wissenschaftliche Entfaltung dessen, was im einfachen Glauben schon da ist. Aber nicht so, als wäre der Glaube eine niedrigere Stufe, über die es kraft der Wissenschaft hinauszukommen gelte zur Gnosis." Rudolf Bultmann, Zur Frage der Christologie, 1927, in: Glauben und Verstehen, Bd. 1, 8. Aufl. 1980, S. 88f. Karl Barth „Das letzte Wort, das ich als Theologe und auch als Politiker zu sagen habe, ist nicht ein Begriff wie 'Gnade', sondern ist ein Name: Jesus Christus. Er ist die Gnade, und er ist das Letzte, jenseits von Welt und Kirche und auch von Theologie. Wir können ihn nicht einfach 'einfangen'. Aber wir haben es mit ihm zu tun. Um was ich mich in meinem langen Leben bemüht habe, war in zunehmenden Maße, diesen Namen hervorzuheben und zu sagen: dort … Dort ist auch der Antrieb zur Arbeit, zum Kampf, auch der Antrieb zur Gemeinschaft, zum Mitmenschen. Dort ist alles, was ich in meinem Leben in Schwachheit und Torheit probiert habe. Aber dort ist’s …“ Karl Barth, Letzte Zeugnisse, EVZ-Verlag, Zürich, 1970/2, S. 30/31
3 Rudolf Eisler, Wörterbuch der philosophischen Begriffe, http://www.textlog.de/eisler_woerterbuch.html, 2004
4 David Bosch, Transforming Mission. Paradigm Shifts in Theology of Mission. (Maryknoll: Orbis 1991) 425
5 Tobias Faix, Der empirisch-theologische Praxis-Zyklus als methodologischer Ansatz innerhalb der Missionswissenschaft (The Empirical-Theological Praxis Cycle as Methodological Starting Point in Missiology) (Masterthese an der University of South Afrika, 2003, Supervisor Johannes Reimer)30
6 Manfred Jakubowski-Tiessen, Eigenkultur und Traditionsbildung, in Hartmut Lehmann, Hrsg., Geschichte des Pietismus Bd 4 (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2004) 199
7 Lothar Käser, Fremde Kulturen – Eine Einführung in die Ethnologie (Bad Liebenzell: Verlag der Liebenzeller Mission, 1997)35
8 Viktor Emil Frankl,  (* 26. März 1905 in Wien; † 2. September 1997 ebenda) war ein österreichischer Neurologe und Psychiater. Er begründete die Logotherapie bzw. Existenzanalyse („Dritte Wiener Schule der Psychotherapie“).
9 Viktor E. Frankl, ... trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager, (München: Deutscher Taschenbuch Verlag; Auflage: Neuaufl. 1. Oktober 1998)
10 Ken Williams, Sharping Your Interpersonal Skills, (International Training Partners, Workbook 2004 Edition)3 Our core beliefs are demonstrated not by what we say they are, but how we live them out.
11 Lothar Käser, Fremde Kulturen – Eine Einführung in die Ethnologie (Bad Liebenzell: Verlag der Liebenzeller Mission, 1997)35
12 Die Barmer Theologische Erklärung wurde wesentlich von Karl Barth ausgearbeitet und nach einer Erläuterung von Hans Assmussen auf der ersten Bekenntnissynode vom 29. bis 31. Mai 1934 in Wuppertal-Barmen verabschiedet.

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