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Samstag, 15. September 2012

Mission und Zielsetzung



In christlichen Kreisen besteht eine weit verbreitete Angst vor perspektivischer Planung und konkreter Zielsetzung. Bereits vor über dreißig Jahre kritisierte Bruno Herm die allgemein übliche Handlungsweise in christlichen Werken. Er stellte fest, dass die meisten christlichen Aktivitäten ohne klare Zielvorgaben geschehen. Wer keine klaren Zielvorgaben hat, kann auch nicht in Frage gestellt werden, wenn er kein Ziel erreicht. Es gilt aber, dass wer kein Ziel hat, sich aber auch nicht zu wundern braucht, wenn er dann irgendwo landet, wo er nicht hinwollte.(1).
Proaktives Handeln erfordert eine proaktive Planung und Zielsetzung. Proaktivität setzt antizipative Haltung und szenarienbasierte Vorüberlegungen voraus.(2) Die biblischen Propheten waren Proaktivisten. Sie hatten den Blick für die zukünftigen Dingen und Entwicklungen. Ihre Botschaft war deshalb direkt und konkret an die Menschen ihrer Tage gerichtet.
Die Projektierung einer gewünschten Zukunft ist die Basis für engagiertes und hingebungsvolles Leben. Will man Menschen sehen, die hingebungsvoll leben und lieben, dann muss man ihnen eine Perspektive geben. Niemand kann leben oder lieben ohne Hoffnung, wenn er keinen Sinn mehr sieht. Die fehlende Zukunftsperspektive ist das Ende jeglicher Kreativität.
Ohne Zielvorgabe zu arbeiten ist nicht produktiv. Dennoch fällt es vielen schwer, für Missions- und Gemeindearbeiten Ziele zu setzen. Für die missionarische Arbeit Zielvorgaben zu erstellen ist schwierig. Im geistlichen Dienst müssen wir immer mit zwei wichtigen unbekannten Komponenten rechnen: Erstens ist Gemeindearbeit Gottes Sache. Der Geist weht wo er will (Joh 3:8) und dieser ist nicht manipulierbar. Zweitens  wird die Gemeinde von Menschen bestimmt. Menschen sind jedoch nicht konstant. Menschen in den Gemeinden ziehen um, durchlaufen Krisen, werden krank und sterben. Zu diesen beiden grundlegenden Faktoren kommen noch weitere schwer zu kalkulierende Elemente, wie Gesellschaftsentwicklungen, Trends und ähnliches, hinzu.
Um klare Zielvorgaben zu erstellen, ist es aber unumgänglich auch eine klare Standortsbestimmung vorzunehmen. Analysen und kritische Erhebungen lösen bei vielen Menschen jedoch Unbehagen und Angst aus Bei vielen evangelikalen Christen erlebe ich ein Panik vor soziologischen Untersuchungen. Wenn jemand irgendwo hin will, muss er sich erst darüber klar werden, wo er eigentlich steht. Dieses geht aber nur durch eine gründliche Untersuchung.. Zielvorgaben ohne Zahlen und Zeitraster sind nicht hilfreich.
Bei vielen geistlichen Mitarbeitern sind Zahlen etwas abschreckendes. Statistische Untersuchungen stoßen in deutschen evangelikalen Kreisen oft auf Widerstand. Sprüche wie, „ich glaube nur den Statistiken, die ich selber manipuliert habe“, oder „es gibt Notlügen, Lügen und Statistiken“, sind häufig zu hören.  Argumente wie: Statistiken und Erhebungen haben zu Trugschlüssen geführt, oder Missionsberichte werden zur „Ehre Gottes“ manipuliert, blocken oft systematische Untersuchungen bereits im Vorfeld ab. Für missiologische Forschung sind in der Regel keine Gelder vorhanden. Diese werden dann der Eigeninitiative einzelner Missionare überlassen.
In den evangelikalen theologischen Ausbildungstätten sind empirische Untersuchungen kein großes Thema.  Die Studenten werden nicht dazu ausgebildet oder angehalten. So ist es auch nicht verwunderlich, dass statistische Erhebungen mit großen Schwierigkeiten durchzuführen sind. In den seltensten Fällen beauftragen Missionen oder Gemeindebünde jemanden für eine missiologische Forschungsarbeit. Wenn nun jemand in Eigeninitiative entsprechende Untersuchungen vornimmt, so wird die gegen die jeweilige Institution oder Gemeinde vorgebrachte Kritik dann oft als ungeistlich abgetan.
Vielleicht fragt sich mancher, ob es bei solchen Schwierigkeiten überhaupt richtig ist, Zielvorgaben für den geistlichen Dienst zu erstellen. Ich möchte nochmals an die Aussagen Bruno Herms erinnern: Wer kein Ziel hat, braucht sich nicht zu wundern, wenn er plötzlich realisiert, dass er irgendwo angekommen ist, wo er nie hin wollte.(3) Es wäre nicht angebracht die Ziellosigkeit zu kritisieren, wenn unsere jetzige gesellschaftliche und kirchliche oder gemeindlichen Situation zufriedenstellend wäre. Dieses ist aber nicht der Fall. Die Frage stellt sich, was unser Auftrag als Gemeinde Jesu in der Welt des 21. Jahrhunderts ist.
Um in unseren missionarischen Unternehmungen nicht zu scheitern, ist es notwendig uns klar zu machen, was wir erreichen wollen. Jesus selber unterwies uns zu planen und die Kosten für die Nachfolge zu überschlagen (Lu 14,27-30). Er selber hatte klare Vorstellung über seinen Dienst (Mk 10:45; Lk 19:10). Paulus hatte klar formulierte Ziele (Rm15:20). Zielvorgaben und Absichtserklärungen sind demnach kein Zeichen von fehlender Geistesführung. Für Paulus war es normal, seine missionarischen Einsätze zu planen (Apg 16,6-7). Das er in der Ausführung seiner Pläne für die göttliche Leitung offen war, widerspricht nicht dem Planen an sich, sondern ist ein Zeugnis der geistlichen Sensibilität im missionarischen Engagement.
Wenn nun das höchste Gebot der Bibel die Liebe zu Gott und dem Nächsten ist, dann müssen wir uns überlegen, wie das erreicht werden kann. Damit ist die konkrete Zielsetzung auch gegeben. Jeder Mensch auf diesem Globus hat das Recht von der Liebe, die Gott zu ihm hat, zu erfahren. Dieses geschieht durch den Zuspruch in der verbalen Verkündigung und durch die konkrete Zuwendung von Mensch zu Mensch. Oder wie Papst Benedikt XVI. Josef Ratzinger es ausdrückte:
Sein Ich wird ihm(dem Menschen) nur akzeptabel dadurch, das es zuerst von einem anderen Ich akzeptiert ist. Er kann sich selbst nur lieben, wenn er zuvor von einem anderen geliebt ist. Damit der Mensch sich selbst annehmen kann, muss ihm gesagt sein: Gut, dass du bist – gesagt nicht mit Worten, sondern mit jenem ganzen Akt der Existenz, den wir Liebe nennen.(4)
Liebe jedoch basiert auf der persönlichen Beziehung der Individuen. Liebe ist Begegnung, ist Kommunikation. Es geht um die konkrete Begegnung mit dem Nächsten. So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die ihm glauben gerettet werden (Joh. 3,16). Gott ist den Menschen begegnet und will jedem Einzelnen durch Jesusnachfolgern begegnen. Das ist christliche Mission. Heute leben ca. 6,8 Milliarden Menschen auf unserem Planeten. Wie soll diesen die Liebe Gottes denn zukommen?  Ist das nicht eine hoffnungslose Überforderung der einzelnen Christen? Jeder Mensch braucht die persönliche Zuwendung eines Menschen, der ihn liebt. Wenn das unsere Zielsetzung ist, dann müssen wir völlig neu und konstruktiv denken und planen lernen. Das verlangt auch ein hohes Engagement der Mitarbeiter.
In Berufen, die sich mit dem Dienst am Nächsten beschäftigen ist der Burnout zur Regel geworden. Viele geistliche Mitarbeiter, Missionare und Pastoren erleiden einen „Burnout“. Manche betrachten deshalb Ziele als belastend. Manchmal werden Zielvorgaben als Ursache für die Überbelastung angegeben. Aber es ist gerade der defuse undefinierte Erwartungsdruck, der zum Burnout führt und nicht die klare Zielvorgabe.(5) Nicht die Menge an Arbeit führt zum Burnout, sondern die Summe des „Nicht Geschafften“.
Es ist zu bedenken, dass nur eine klaren Zielvorgabe dabei hilft, in der vorhandenen inflationären Schwemme an Informationen, an Programmen, Nötenen, Herausforderungen, Aufgaben und Konflikten die richtigen Prioritäten zu definieren. Es ist die Masse an Möglichkeiten, die zum Burnout führt und nicht deren zielbewusste  Eingrenzung. So steigt auch der innere Druck, die Voraussetzungen zum besseren handeln zu erweitern.  Jörg Fengler beschreibt es so:
Angebote die dem Helfer vorführen, was er noch alles werden kann, zeigen ihm stets zugleich, was er alles noch nicht ist. Das Spektrum möglicher Kompetenzen führt ihm vor allem den Grad seiner Inkompetenz vor Augen; und immer gibt es in seiner Nähe einen Kollegen der mit dieser oder jener Zusatzausbildung die Nase vorn hat.(6)
Die Untersuchungen von Remap II zeigen, dass klare Zielvereinbarungen ein wichtiger Beitrag zu Erhalt von Missionaren im Einsatz sind. Es ist die Konzentration auf das Wesentliche, dass zum Erfolg führt. Von Peter Drucker stammt der Satz: Effective executives do first things first and second … ?(7) Was ist nun für die Gemeinde Jesus Priorität? Sie ist in dieser Welt mit einem Auftrag unterwegs. Es gibt viel zu tun. Ohne die Konzentration auf das Wesentliche besteht die Gefahr, dass sie sich in sekundären Beschäftigungen verliert und dabei ihren eigentlichen Daseinszweck verliert. Ist die Liebe zu Gott und den Mitmenschen das Wesentliche, der eigentliche Zweck der Existenz der Gemeinde, dann stelle ich eine totale Zweckentfremdung in den meisten christlichen Gemeinschaften fest.


1 Bruno Herm, Oktober 1973, Vorlesungen an der Bibelschule Brake zur Missionsstrategie. Persönliche Mitschrift.
3 Bruno Herm, Oktober 1973, Vorlesungen an der Bibelschule Brake zur Missionsstrategie. Persönliche Mitschrift.
4 Josef Ratzinger, Theologische Prinzipienlehre – Bausteine zur Fundamentaltheologie (München: 1982)80
5 Jörg Fengler, Helfen macht müde – Zur Analyse und Bewältigung von Burnout und beruflicher Deformation (Verlag J. Pfeffer, München:1991)64
6 Jörg Fengler, Helfen macht müde – Zur Analyse und Bewältigung von Burnout und beruflicher Deformation (Verlag J. Pfeffer, München:1991)55
7 Bei Fredmund Malik, Führen - Leisten – Leben – Wirksames Management für eine neue Zeit (W. Heyne Verlag, München:2001)178

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