In christlichen
Kreisen besteht eine weit verbreitete Angst vor perspektivischer Planung und
konkreter Zielsetzung. Bereits vor über dreißig Jahre kritisierte Bruno Herm
die allgemein übliche Handlungsweise in christlichen Werken. Er stellte fest,
dass die meisten christlichen Aktivitäten ohne klare Zielvorgaben geschehen.
Wer keine klaren Zielvorgaben hat, kann auch nicht in Frage gestellt werden,
wenn er kein Ziel erreicht. Es gilt aber, dass wer kein Ziel hat, sich aber
auch nicht zu wundern braucht, wenn er dann irgendwo landet, wo er nicht
hinwollte.(1).
Proaktives
Handeln erfordert eine proaktive Planung und Zielsetzung. Proaktivität setzt
antizipative Haltung und szenarienbasierte Vorüberlegungen voraus.(2) Die
biblischen Propheten waren Proaktivisten. Sie hatten den Blick für die
zukünftigen Dingen und Entwicklungen. Ihre Botschaft war deshalb direkt und
konkret an die Menschen ihrer Tage gerichtet.
Die
Projektierung einer gewünschten Zukunft ist die Basis für engagiertes und hingebungsvolles
Leben. Will man Menschen sehen, die hingebungsvoll leben und lieben, dann muss
man ihnen eine Perspektive geben. Niemand kann leben oder lieben ohne Hoffnung,
wenn er keinen Sinn mehr sieht. Die fehlende Zukunftsperspektive ist das Ende
jeglicher Kreativität.
Ohne Zielvorgabe zu
arbeiten ist nicht produktiv. Dennoch fällt es vielen schwer, für Missions- und
Gemeindearbeiten Ziele zu setzen. Für die missionarische Arbeit Zielvorgaben zu
erstellen ist schwierig. Im geistlichen Dienst müssen wir immer mit zwei
wichtigen unbekannten Komponenten rechnen: Erstens ist Gemeindearbeit Gottes
Sache. Der Geist weht wo er will (Joh 3:8) und dieser ist nicht manipulierbar.
Zweitens wird die Gemeinde von Menschen
bestimmt. Menschen sind jedoch nicht konstant. Menschen in den Gemeinden ziehen
um, durchlaufen Krisen, werden krank und sterben. Zu diesen beiden
grundlegenden Faktoren kommen noch weitere schwer zu kalkulierende Elemente,
wie Gesellschaftsentwicklungen, Trends und ähnliches, hinzu.
Um klare Zielvorgaben
zu erstellen, ist es aber unumgänglich auch eine klare Standortsbestimmung
vorzunehmen. Analysen und kritische Erhebungen lösen bei vielen Menschen jedoch
Unbehagen und Angst aus Bei vielen evangelikalen Christen erlebe ich ein Panik
vor soziologischen Untersuchungen. Wenn jemand irgendwo hin will, muss er sich
erst darüber klar werden, wo er eigentlich steht. Dieses geht aber nur durch
eine gründliche Untersuchung.. Zielvorgaben ohne Zahlen und Zeitraster sind
nicht hilfreich.
Bei vielen
geistlichen Mitarbeitern sind Zahlen etwas abschreckendes. Statistische
Untersuchungen stoßen in deutschen evangelikalen Kreisen oft auf Widerstand.
Sprüche wie, „ich glaube nur den Statistiken, die ich selber manipuliert
habe“, oder „es gibt Notlügen, Lügen und Statistiken“, sind häufig
zu hören. Argumente wie: Statistiken
und Erhebungen haben zu Trugschlüssen geführt, oder Missionsberichte
werden zur „Ehre Gottes“ manipuliert, blocken oft systematische
Untersuchungen bereits im Vorfeld ab. Für missiologische Forschung sind in der
Regel keine Gelder vorhanden. Diese werden dann der Eigeninitiative einzelner
Missionare überlassen.
In den
evangelikalen theologischen Ausbildungstätten sind empirische Untersuchungen
kein großes Thema. Die Studenten werden
nicht dazu ausgebildet oder angehalten. So ist es auch nicht verwunderlich,
dass statistische Erhebungen mit großen Schwierigkeiten durchzuführen sind. In
den seltensten Fällen beauftragen Missionen oder Gemeindebünde jemanden für
eine missiologische Forschungsarbeit. Wenn nun jemand in Eigeninitiative
entsprechende Untersuchungen vornimmt, so wird die gegen die jeweilige
Institution oder Gemeinde vorgebrachte Kritik dann oft als ungeistlich abgetan.
Vielleicht fragt
sich mancher, ob es bei solchen Schwierigkeiten überhaupt richtig ist,
Zielvorgaben für den geistlichen Dienst zu erstellen. Ich möchte nochmals an
die Aussagen Bruno Herms erinnern: Wer kein Ziel hat, braucht sich nicht zu
wundern, wenn er plötzlich realisiert, dass er irgendwo angekommen ist, wo er
nie hin wollte.(3) Es wäre nicht angebracht
die Ziellosigkeit zu kritisieren, wenn unsere jetzige gesellschaftliche und
kirchliche oder gemeindlichen Situation zufriedenstellend wäre. Dieses ist aber
nicht der Fall. Die Frage stellt sich, was unser Auftrag als Gemeinde Jesu in
der Welt des 21. Jahrhunderts ist.
Um in unseren
missionarischen Unternehmungen nicht zu scheitern, ist es notwendig uns klar zu
machen, was wir erreichen wollen. Jesus selber unterwies uns zu planen und die
Kosten für die Nachfolge zu überschlagen (Lu 14,27-30). Er selber hatte klare
Vorstellung über seinen Dienst (Mk 10:45; Lk 19:10). Paulus hatte klar
formulierte Ziele (Rm15:20). Zielvorgaben und Absichtserklärungen sind demnach
kein Zeichen von fehlender Geistesführung. Für Paulus war es normal, seine
missionarischen Einsätze zu planen (Apg 16,6-7). Das er in der Ausführung
seiner Pläne für die göttliche Leitung offen war, widerspricht nicht dem Planen
an sich, sondern ist ein Zeugnis der geistlichen Sensibilität im
missionarischen Engagement.
Wenn nun das höchste Gebot der Bibel die Liebe zu Gott und
dem Nächsten ist, dann müssen wir uns überlegen, wie das erreicht werden kann.
Damit ist die konkrete Zielsetzung auch gegeben. Jeder Mensch auf diesem Globus
hat das Recht von der Liebe, die Gott zu ihm hat, zu erfahren. Dieses geschieht
durch den Zuspruch in der verbalen Verkündigung und durch die konkrete
Zuwendung von Mensch zu Mensch. Oder wie Papst Benedikt XVI. Josef Ratzinger es ausdrückte:
Sein Ich wird ihm(dem Menschen) nur
akzeptabel dadurch, das es zuerst von einem anderen Ich akzeptiert ist. Er kann
sich selbst nur lieben, wenn er zuvor von einem anderen geliebt ist. Damit der
Mensch sich selbst annehmen kann, muss ihm gesagt sein: Gut, dass du bist –
gesagt nicht mit Worten, sondern mit jenem ganzen Akt der Existenz, den wir
Liebe nennen.(4)
Liebe jedoch
basiert auf der persönlichen Beziehung der Individuen. Liebe ist Begegnung, ist
Kommunikation. Es geht um die konkrete Begegnung mit dem Nächsten. So sehr
hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle,
die ihm glauben gerettet werden (Joh. 3,16). Gott ist den Menschen begegnet
und will jedem Einzelnen durch Jesusnachfolgern begegnen. Das ist christliche
Mission. Heute leben ca. 6,8 Milliarden Menschen auf unserem Planeten. Wie soll
diesen die Liebe Gottes denn zukommen?
Ist das nicht eine hoffnungslose Überforderung der einzelnen Christen?
Jeder Mensch braucht die persönliche Zuwendung eines Menschen, der ihn liebt.
Wenn das unsere Zielsetzung ist, dann müssen wir völlig neu und konstruktiv
denken und planen lernen. Das verlangt auch ein hohes Engagement der
Mitarbeiter.
In Berufen, die
sich mit dem Dienst am Nächsten beschäftigen ist der Burnout zur Regel
geworden. Viele geistliche Mitarbeiter, Missionare und Pastoren erleiden einen
„Burnout“. Manche betrachten deshalb Ziele als belastend. Manchmal werden
Zielvorgaben als Ursache für die Überbelastung angegeben. Aber es ist gerade
der defuse undefinierte Erwartungsdruck, der zum Burnout führt und nicht die
klare Zielvorgabe.(5) Nicht die Menge an Arbeit
führt zum Burnout, sondern die Summe des „Nicht Geschafften“.
Es ist zu
bedenken, dass nur eine klaren Zielvorgabe dabei hilft, in der vorhandenen
inflationären Schwemme an Informationen, an Programmen, Nötenen,
Herausforderungen, Aufgaben und Konflikten die richtigen Prioritäten zu
definieren. Es ist die Masse an Möglichkeiten, die zum Burnout führt und nicht
deren zielbewusste Eingrenzung. So
steigt auch der innere Druck, die Voraussetzungen zum besseren handeln zu
erweitern. Jörg Fengler beschreibt es
so:
Angebote die
dem Helfer vorführen, was er noch alles werden kann, zeigen ihm stets zugleich,
was er alles noch nicht ist. Das Spektrum möglicher Kompetenzen führt ihm vor
allem den Grad seiner Inkompetenz vor Augen; und immer gibt es in seiner Nähe
einen Kollegen der mit dieser oder jener Zusatzausbildung die Nase vorn hat.(6)
Die
Untersuchungen von Remap II zeigen, dass klare Zielvereinbarungen ein wichtiger
Beitrag zu Erhalt von Missionaren im Einsatz sind. Es ist die Konzentration auf
das Wesentliche, dass zum Erfolg führt. Von Peter Drucker stammt der Satz: Effective executives do first
things first and second … ?(7) Was ist nun
für die Gemeinde Jesus Priorität? Sie ist in dieser Welt mit einem Auftrag
unterwegs. Es gibt viel zu tun. Ohne die Konzentration auf das Wesentliche
besteht die Gefahr, dass sie sich in sekundären Beschäftigungen verliert und
dabei ihren eigentlichen Daseinszweck verliert. Ist die Liebe zu Gott und den
Mitmenschen das Wesentliche, der eigentliche Zweck der Existenz der Gemeinde,
dann stelle ich eine totale Zweckentfremdung in den meisten christlichen
Gemeinschaften fest.
1 Bruno Herm, Oktober 1973, Vorlesungen an der Bibelschule Brake zur Missionsstrategie. Persönliche Mitschrift.
2 http://de.wikipedia.org/wiki/Proaktivit%C3%A4t
(27.10.2009)
3 Bruno Herm, Oktober 1973,
Vorlesungen an der Bibelschule Brake zur Missionsstrategie. Persönliche
Mitschrift.
4 Josef Ratzinger, Theologische
Prinzipienlehre – Bausteine zur Fundamentaltheologie (München: 1982)80
5 Jörg Fengler, Helfen
macht müde – Zur Analyse und Bewältigung von Burnout und beruflicher
Deformation (Verlag J. Pfeffer, München:1991)64
6 Jörg Fengler, Helfen
macht müde – Zur Analyse und Bewältigung von Burnout und beruflicher
Deformation (Verlag J. Pfeffer, München:1991)55
7 Bei Fredmund Malik, Führen
- Leisten – Leben – Wirksames Management für eine neue Zeit (W. Heyne
Verlag, München:2001)178
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