Es ist der
Donnerstagabend. In meiner Brust ist ein heftiger Schmerz. Ich hocke
zusammengekrümmt auf dem Sofa in unserem Wohnzimmer. „Was ist los?“
kommt die Frage von meiner Frau. „Es tut so weh“, antworte ich. „Wo“ die besorgte
Nachfrage, ist es das Herz? Ich weiß es nicht. Kurze Zeit später sind wir beim
Notarzt. Er ist ein freundlicher Pakistani. Ich versuche mit den letzten in der
Erinnerung verbliebenen Brocken Urdu eine Beziehung aufzubauen. „Mera nome
Johannes hé“. Er lachte und so entwickelte sich ein Gespräch. Er fragt mich
nach meinem Beruf. „Ich bin Pastor,
ich arbeite bei einer evangelischen Mission.“ Irgendwie fühle ich mich
unwohl, als ich antworte. Warum ist das so, frage ich mich. Das EKG ist
unauffällig, kein Herzinfarkt. Etwas beruhigt fahren wir wieder nach
Hause. Die Frage aber bohrt weiter.
Warum bist du Missionar? Warum fühlst Du dich Unwohl bei der Beantwortung der
Nachfrage?
Diese konkrete
Lebenssituation brachte mich zur theologischen Reflektion. Was mache ich
eigentlich? Warum lebe ich überhaupt und was ist mir wichtig? Kann ich das „Christsein“
denn überhaupt leben? Wie sieht das aus mit meiner Gottesbeziehung? Wer ist
Gott? Was ist Theologie? Christliche Theologie will auf der einen Seite
Wissenschaft sein. Bin ich nun wissenschaftlich? Ist Glaube Wissenschaft? Weiß
ich oder weiß ich nicht? Beschreibe ich, berichte ich, bezeuge ich oder wie ist
die Sache mit Gott? Kann man Theologie betreiben ohne sich nicht immer wieder
in die Begegnung mit Gott zu begeben? Ist es möglich Missiologie zuz betreiben ohne einen
persönlichen Bezug dazu zu haben?
Wenn wir uns nun
mit Gott auseinandersetzen, geht das ohne persönliche Betroffenheit, ohne
Konsequenzen? Kann man sagen, man glaubt an Gott, ohne dass dieses Einfluss auf
das ganze, einschließlich des persönlichen, ganz privaten Lebens hat? Kein
Mensch kann Theologie betreiben, ohne dass dieses das Leben des Theologen prägt
und das die Theologie, zu der er kommt, nicht von seinem Leben mitgeschrieben
wird.
Kann man Petrus
und seine Briefe verstehen, ohne dass überall der Hahnenschrei zu hören ist?
Dieser innere Schrei der Anklage, der durch die Frage Jesu „hast du mich lieb“
zur Melodie der Vergebung und des Trostes wird, schwingt bei Petrus in allem
mit. Hätte es den christlichen Theologen Paulus von Tarsus ohne seine
Damaskusstunde denn gegeben? Ist die Theologie des Ambrosius Augustinus, ohne
sie durch seine Bekenntnisse zu interpretieren überhaupt zu verstehen? Oder ist
Luther ohne sein Turmerlebnis denkbar? Hätte es ohne das Jurastudium des
Johannes Calvin den Theologen Calvin überhaupt gegeben? Kann man Zinsendorf
ohne sein Erlebnis vor dem Isenheimer Altar begreifen? Biographie und Theologie
bedingen einander. Es ist meine Meinung, dass eine Theologie, die nichts mit
dem Leben des Theologen zu tun hat, ein irrrelevanter Blödsinn ist.
Theologie ist
von der Wordbedeutung her die Lehre von Gott. Ihr zentrales Thema ist also
Gott. Die Antwort auf die Gottesfrage ist das Herzstück aller Weltanschauungen.
Das Weltbild einer jeden Kultur lebt vom Pulsschlag des jeweiligen
Gottesverständnisses. Dieses gilt selbst für die Weltanschauungen, welche die
Existenz des Göttlichen ablehnen. Die geglaubte Existenz oder auch
„Nichtexitenz“ Gottes ist die Grundlage der Anthropologie und somit die Quelle
aller ethischen Werte einer kulturellen Einheit. Somit wird die Theologie zum
Schlüssel für die kulturelle Existenz der einzelnen Gemeinschaften und im Zuge
der Globalisierung zur soziologischen Grundlage der gesamten Menschheit.
Theologie wird
aber durch konkrete Menschen betrieben. Sie ist immer die Reflektion eines
betroffenen Menschen. Da Gott jedoch dem Menschen wesensmäßig übergeordnet ist,
wird der Theologe selbst im seinem Nachsinnen über Gott zum Subjekt. Die
Gottesfrage bestimmt über Sinn und Unsinn des Daseins des einzelnen Theologen.
Kein Mensch ist deshalb in der Lage rein objektiv und distanziert über der
Gottesfrage zu reflektieren. Jede Frage, jede Antwort, betrifft ihn selber in
seiner direkten konkreten und höchst persönlichen Existenz. Sie stellt ihn und seine Lebenssituation in
Frage. Wie ein jeder Mensch die Gottesfrage beantwortet, wird er sein Leben,
das Leben seiner Mitmenschen, sein Volk, ja die gesamte Menschheit
beeinflussen. Theologie ist deshalb immer subjektiv. Sie ist keine exakte
Wissenschaft. Deswegen ist auch die Gotteserkenntnis subjektiv. Sie ist deshalb
auch nie abgeschlossen und nie vollkommen, sondern ein dynamischer Prozess.
Gute Theologie ist ein Ringen nach Realität und Wahrheit. Es
ist die Suche nach Echtheit, nach Wirklichkeit und nach Authentizität.
Theologie, die sich nicht selber und den Theologen in Frage stellt, ist
schlechte Theologie. Die Bibel lehrt, dass die Früchte, das heißt die
Auswirkung auf das reale Leben, die eine Lehre erbringt, über die Richtigkeit,
über die Wahrheit entscheidet. Das heißt im Gegenzug aber auch, dass der Lebensstil
einer Person und die Wirkung seiner Taten, Rückschlüsse auf seine
Gottesvorstellung zulassen.
Theologie entsteht in den Fragen, die der Mensch stellt.
Diese Fragen sind bei relevanter Theologie konkrete und reale Lebensfragen. Die
Fragen, die das Leben stellt, sind für den Einzelnen existenziell. Das Leben
ist nicht voller rhetorischer und abstrakter Fragen. Es beinhaltet die
konkreten, realen und existenzielle Anfragen an das Dasein überhaupt. Es sind
die Fragen nach Brot und Broterwerb, nach Krankheit und Arbeitskraft, nach
Wasser und Energie. Dazu kommen die Fragen nach dem Sein und der Bedeutung des
irdischen Lebens und der ewigen Existenz des immateriellen Menschen.
Das Meer der menschlichen Fragen und Zweifel spiegelt das
Leid, die Not, die Unsicherheit und die Hoffnungslosigkeit einer verlorenen
Menschheit wieder. Die Gefangenschaft im Niemandsland zwischen Frage und
Antwort ist reine Verzweiflung. Sie ist immer schmerzhaft, aber manchmal auch
tödlich. Ohne des bohrenden verzweifelten Schmerz der Frage ist es jedoch nicht
möglich, Antworten zu finden.
Durch die Medien
wird uns gepredigt, dass Leiden und Schmerz etwas Unnatürliches und Schlechtes
ist. Schmerz kann und soll man nicht aushalten, sondern irgendwie beseitigen.
Schmerzstillende Tabletten sind Verkaufsschlager. Infragestellungen sind
unangenehm. Deswegen sind Fragensteller unbeliebt. Es sind die existenziellen
und leidvollen Fragen meines Lebens gewesen, die meine Theologie beeinflusst
haben. Die auf diesem Bolg dargestellte Theologie oder Philosophie ist meine
Weltanschauung, das heißt es sind Reflektion meines eigenen Leben vor Gott und
den Menschen.
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