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Freitag, 14. September 2012

Theologie ist immer biographisch



Es ist der Donnerstagabend. In meiner Brust ist ein heftiger Schmerz. Ich hocke zusammengekrümmt auf dem Sofa in unserem Wohnzimmer. „Was ist los?“ kommt die Frage von meiner Frau. „Es tut so weh“,  antworte ich. „Wo“ die besorgte Nachfrage, ist es das Herz? Ich weiß es nicht. Kurze Zeit später sind wir beim Notarzt. Er ist ein freundlicher Pakistani. Ich versuche mit den letzten in der Erinnerung verbliebenen Brocken Urdu eine Beziehung aufzubauen. „Mera nome Johannes hé“. Er lachte und so entwickelte sich ein Gespräch. Er fragt mich nach meinem Beruf. „Ich  bin Pastor, ich arbeite bei einer evangelischen Mission.“ Irgendwie fühle ich mich unwohl, als ich antworte. Warum ist das so, frage ich mich. Das EKG ist unauffällig, kein Herzinfarkt. Etwas beruhigt fahren wir wieder nach Hause.  Die Frage aber bohrt weiter. Warum bist du Missionar? Warum fühlst Du dich Unwohl bei der Beantwortung der Nachfrage?
Diese konkrete Lebenssituation brachte mich zur theologischen Reflektion. Was mache ich eigentlich? Warum lebe ich überhaupt und was ist mir wichtig? Kann ich das „Christsein“ denn überhaupt leben? Wie sieht das aus mit meiner Gottesbeziehung? Wer ist Gott? Was ist Theologie? Christliche Theologie will auf der einen Seite Wissenschaft sein. Bin ich nun wissenschaftlich? Ist Glaube Wissenschaft? Weiß ich oder weiß ich nicht? Beschreibe ich, berichte ich, bezeuge ich oder wie ist die Sache mit Gott? Kann man Theologie betreiben ohne sich nicht immer wieder in die Begegnung mit Gott zu begeben? Ist es möglich Missiologie zuz betreiben ohne einen persönlichen Bezug dazu zu haben?
Wenn wir uns nun mit Gott auseinandersetzen, geht das ohne persönliche Betroffenheit, ohne Konsequenzen? Kann man sagen, man glaubt an Gott, ohne dass dieses Einfluss auf das ganze, einschließlich des persönlichen, ganz privaten Lebens hat? Kein Mensch kann Theologie betreiben, ohne dass dieses das Leben des Theologen prägt und das die Theologie, zu der er kommt, nicht von seinem Leben mitgeschrieben wird.
Kann man Petrus und seine Briefe verstehen, ohne dass überall der Hahnenschrei zu hören ist? Dieser innere Schrei der Anklage, der durch die Frage Jesu „hast du mich lieb“ zur Melodie der Vergebung und des Trostes wird, schwingt bei Petrus in allem mit. Hätte es den christlichen Theologen Paulus von Tarsus ohne seine Damaskusstunde denn gegeben? Ist die Theologie des Ambrosius Augustinus, ohne sie durch seine Bekenntnisse zu interpretieren überhaupt zu verstehen? Oder ist Luther ohne sein Turmerlebnis denkbar? Hätte es ohne das Jurastudium des Johannes Calvin den Theologen Calvin überhaupt gegeben? Kann man Zinsendorf ohne sein Erlebnis vor dem Isenheimer Altar begreifen? Biographie und Theologie bedingen einander. Es ist meine Meinung, dass eine Theologie, die nichts mit dem Leben des Theologen zu tun hat, ein irrrelevanter Blödsinn ist.
Theologie ist von der Wordbedeutung her die Lehre von Gott. Ihr zentrales Thema ist also Gott. Die Antwort auf die Gottesfrage ist das Herzstück aller Weltanschauungen. Das Weltbild einer jeden Kultur lebt vom Pulsschlag des jeweiligen Gottesverständnisses. Dieses gilt selbst für die Weltanschauungen, welche die Existenz des Göttlichen ablehnen. Die geglaubte Existenz oder auch „Nichtexitenz“ Gottes ist die Grundlage der Anthropologie und somit die Quelle aller ethischen Werte einer kulturellen Einheit. Somit wird die Theologie zum Schlüssel für die kulturelle Existenz der einzelnen Gemeinschaften und im Zuge der Globalisierung zur soziologischen Grundlage der gesamten Menschheit.
Theologie wird aber durch konkrete Menschen betrieben. Sie ist immer die Reflektion eines betroffenen Menschen. Da Gott jedoch dem Menschen wesensmäßig übergeordnet ist, wird der Theologe selbst im seinem Nachsinnen über Gott zum Subjekt. Die Gottesfrage bestimmt über Sinn und Unsinn des Daseins des einzelnen Theologen. Kein Mensch ist deshalb in der Lage rein objektiv und distanziert über der Gottesfrage zu reflektieren. Jede Frage, jede Antwort, betrifft ihn selber in seiner direkten konkreten und höchst persönlichen Existenz. Sie  stellt ihn und seine Lebenssituation in Frage. Wie ein jeder Mensch die Gottesfrage beantwortet, wird er sein Leben, das Leben seiner Mitmenschen, sein Volk, ja die gesamte Menschheit beeinflussen. Theologie ist deshalb immer subjektiv. Sie ist keine exakte Wissenschaft. Deswegen ist auch die Gotteserkenntnis subjektiv. Sie ist deshalb auch nie abgeschlossen und nie vollkommen, sondern ein dynamischer Prozess.
Gute Theologie ist ein Ringen nach Realität und Wahrheit. Es ist die Suche nach Echtheit, nach Wirklichkeit und nach Authentizität. Theologie, die sich nicht selber und den Theologen in Frage stellt, ist schlechte Theologie. Die Bibel lehrt, dass die Früchte, das heißt die Auswirkung auf das reale Leben, die eine Lehre erbringt, über die Richtigkeit, über die Wahrheit entscheidet. Das heißt im Gegenzug aber auch, dass der Lebensstil einer Person und die Wirkung seiner Taten, Rückschlüsse auf seine Gottesvorstellung zulassen.
Theologie entsteht in den Fragen, die der Mensch stellt. Diese Fragen sind bei relevanter Theologie konkrete und reale Lebensfragen. Die Fragen, die das Leben stellt, sind für den Einzelnen existenziell. Das Leben ist nicht voller rhetorischer und abstrakter Fragen. Es beinhaltet die konkreten, realen und existenzielle Anfragen an das Dasein überhaupt. Es sind die Fragen nach Brot und Broterwerb, nach Krankheit und Arbeitskraft, nach Wasser und Energie. Dazu kommen die Fragen nach dem Sein und der Bedeutung des irdischen Lebens und der ewigen Existenz des immateriellen Menschen.
Das Meer der menschlichen Fragen und Zweifel spiegelt das Leid, die Not, die Unsicherheit und die Hoffnungslosigkeit einer verlorenen Menschheit wieder. Die Gefangenschaft im Niemandsland zwischen Frage und Antwort ist reine Verzweiflung. Sie ist immer schmerzhaft, aber manchmal auch tödlich. Ohne des bohrenden verzweifelten Schmerz der Frage ist es jedoch nicht möglich, Antworten zu finden.
Durch die Medien wird uns gepredigt, dass Leiden und Schmerz etwas Unnatürliches und Schlechtes ist. Schmerz kann und soll man nicht aushalten, sondern irgendwie beseitigen. Schmerzstillende Tabletten sind Verkaufsschlager. Infragestellungen sind unangenehm. Deswegen sind Fragensteller unbeliebt. Es sind die existenziellen und leidvollen Fragen meines Lebens gewesen, die meine Theologie beeinflusst haben. Die auf diesem Bolg dargestellte Theologie oder Philosophie ist meine Weltanschauung, das heißt es sind Reflektion meines eigenen Leben vor Gott und den Menschen.

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