2.4 Fremdheit als Gefahr für die Menschen
So wie die
soziale Ungerechtigkeit ist die Fremdheit eine der Wurzeln des weltweiten
Terrorismus. Jeder Mensch interpretiert und wertet seine Lebenssituation auf
Grund seiner Weltanschauung. Eine
bedrohte Lebenssituation, ohne Hoffnung auf Besserung, gepaart mit den, durch
die Globalisierung verursachten kulturellen Identifikationsverlust führt
entweder zu einer radikalen Verwerfung des traditionellen Weltbildes, welche zu
einer noch größeren Verunsicherung führt, oder zu einem radikalen
Fundamentalismus. Geiko Müller
Fahrenholz führt aus:
Beim
Fundamentalismus haben wir es mit einer weltweiten pathologischen Reaktion auf
unerträglich gewordene Lebensbedingungen zu tun. ... Die Leiden des
Fundamentalismus entstehen, wo immer die Fundamente zerbrechen, welche wir
Menschen für unseren jeweiligen Lebenskampf genauso nötig haben wie das
tägliche Brot[1].
Die Auslieferung an fanatische religiöse
Überzeugungen liegt dann nahe. Die Rückbesinnung auf die traditionellen
Grundlagen, Überzeugungen und Verhaltensformen geben eine scheinbare Sicherheit
der „Richtigen“. Die Einschränkung auf die elementaren Grundwerte einer Kultur
vermitteln den überzeugten Fundamentalisten ein tiefes Gefühl der Zusammengehörigkeit.
Dieses tief sitzenden Zugehörigkeitsgefühl kann unbeabsichtigt auf Ausgrenzung
gerichtete Leidenschaften nähren, die nach außen gerichtete aggressive
Identitäten schafft.[2]
Wenn diese kulturelle Bedrohung mit sozialen
Missständen gepaart ist, entwickelt der Fundamentalismus einen atomare
Sprengkraft. Soziale Ungerechtigkeit ist ein ethisches Problem und Ethik hat
seine Wurzeln immer in der Weltanschauung. Dadurch wird die Globalisierung zu
eine religiösen und damit zu einer geistlichen Auseinandersetzung. Dazu führt
Detlef Kapeina aus:
Die Aktualität
und Bestätigung bekommt diese Herausforderung durch die Globalisierung eines
Menschen verachtenden internationalen Terrors, die seit den Flugzeug-Anschlägen
auf das Word Trade Center in New York und das Pentagon in Washington am 11.
September 2001 sichtbare Konturen angenommen hat. Eine realpolitisch,
militärisch, selbst geheimdienstlich nicht vorstellbare und in den Griff zu
bekommende Macht bösartiger, nahezu teuflischer Perfektion hat globale Züge
angenommen.[3]
Dadurch wird
deutlich, warum die Auseinandersetzungen der heutigen Zeit alles
ökonomisch-religiöse Konflikte sind. Der Ruf nach einer globalen Ethik ist
deshalb verständlich. Das Gefühl der eigenen Sicherheit liegt in der
interkulturellen Begegnung in dem Vertrauen auf einheitliche Spielregeln. Eine
Globalisierung der Wirtschaft braucht einen Weltethos.[4]
In der Spannung
zwischen Kapitalismus und Kommunismus sind die sozialen Demokratien Westeuropas
entstanden. Durch das Wegfallen des sozialistischen Gegenpols ist der Pendel
der globalisierten Weltwirtschaft zum brutalen neoliberalen Kapitalismus
ausgeschlagen. Die heutigen ethischen Spielregeln sind von dem Gesetz des
Stärkeren bestimmt, der zum Reichtum einiger, auf Kosten der sozialen und
ökologischen Umwelt der großen Mehrheit der Menschen geht. Diese erfahren
diesen Prozess als Bedrohung ihres Daseins und haben Angst.
Ohne eine
Grundlage gemeinsamer ethischer Spielregeln für einer Gemeinschaft, ist ein
Zusammenleben nicht möglich. Durch die plötzliche und unvorbereitete
Globalisierung, ist die Welt zur Gemeinschaft geworden, ohne eine einheitliche
ethische Grundlage zu haben. Diese Spannung wird von vielen Menschen empfunden
und deshalb erklärt Hans Küng:
Die heutige
Gesellschaft kann in ihrer Tiefe nicht durch Fundamentalismus oder Moralismus
und auch nicht durch einen Beliebigkeitspluralismus zusammengehalten werden,
sondern nur durch ein verbindliches, verbindendes Ethos, das autonome
Selbstverwirklichung und solidarische Verantwortung verbindet.[5]
Eine
Gemeinschaft kann auf Dauer ohne einen gemeinsamen Ethos nicht existieren. Für
das Wachsen eines Weltethos wird die Zeit knapp, da die Probleme des globalen
Zusammenwachsens heute schon so groß sind, dass niemand sie überschauen kann. Eine
Weltgemeinschaft ohne gemeinsame ethische Grundlage verfällt logischerweise der
Anarchie oder der Diktatur der Mächtigen. Das heutige Erscheinungsbild der
Menschheit weißt beide Elemente auf.
2.4.2 Der
Zusammenbruch der Kulturen
Die
Globalisierung hat durch die technische Entwicklung eine rasante
Geschwindigkeit angenommen. Die globale
Dimension des menschlichen Daseins hat weit gehende Folgen für die
Kulturen. Die Kultur einer Ethnie, mit seinen Normen, Regeln und Tabus ist
seine Abgrenzung, sein Schutz. Das Eigene ist das Gewohnte, das Normale.
Die Begegnung
mit dem anderen, dem Fremden stellt immer die eigene Kultur in Frage. Weil das
Andere eben anders ist, wird durch das Kennenlernen eben des Anderen die eine
andere Möglichkeit eröffnet. Dieses ist einmal eine Bereicherung. In neuen
Wegen zu denken und neue Erfahrungen zu machen ist grundsätzlich positiv zu
bewerten. Die Entstehung des brasilianischen Volkes trägt diese Züge. Die
brasilianische Küche z.B. ist enorm reich und vielseitig. Auf der Basis der
indianischen Genüsse, durch die kräftigen afrikanischen Elemente bereicherte
Grundnahrung, haben die Einflüsse von Deutschland und Italien, Japan und China,
Syrien und Polen in diesem Land, mit seiner fast paradiesischen Fruchtbarkeit
eine der reichhaltigsten und vielseitigsten kulinarischen Genusspalette zu
bieten.
Neben der
Bereicherung durch die Begegnung mit dem Anderen existiert auch die Bedrohung
durch das Fremde. Wenn Frauen in einem abgeschirmten arabischen Dorf ein
durchschnitts Europäerin kennenlernen, dann wird ihre ganze Vorstellung von
Ehe< Familie, und Leben in Frage gestellt. Wenn in einem Indianerstamm, in
dem nur der Shamane bei seinen Beschwörungen Alkohol hatte und dieser nun jedem
zugänglich ist, dann werden die vorhandenen Regeln über den Haufen geschmissen
und die Autoritätsstrukturen untergraben. Das Gleiche gilt für Europa. Die
internationale Musik verdrängt die deutsche Volksmusik. Englische Worte
bereichern und zerstören die deutsche Sprache. Maßstäbe, Verhalten, Normen, Regeln
die Gestern noch als unaufgebbar galten, werden heute durch die interkulturelle
Begegnung in Frage gestellt.
Jede Kultur hat
ein gewisses Maß an Lernfähigkeit. Wenn aber die Begegnung mit dem Anderen, wie
heute, in der Verschmelzung aller mit allem geschieht, dann kommt alles ins
Wanken. Die kulturelle Einordnung und Bewertung des Neuen kann nicht mehr
vollzogen werden. Deshalb kommt es zur Beseitigung des Alten ohne aber dafür
einen Ersatz zu haben. Niemand ist heute noch in der Lage alles zu erfassen und
einzuordnen. Deshalb brechen die Kulturen zusammen.
Aus den
Fragmenten der des erlernten, aufgeputscht mit den unverarbeiteten eigenen
Erfahrungen schustert sich dann jeder seine eigene individuelle Welt. Die
Kultur, die früher dem Menschen ein ethnisches Zugehörigkeitsgefühl gab, wird
für den Einzelnen bedeutungslos. Sie zerfällt in kleinste und individuelle
Subkulturen, die dann wieder sich durch die Abgrenzung definieren. Klaus W.
Müller schreibt dazu:
Viele sehen
diese Entwicklung mit Besorgnis. Sie versuchen zu bewahren, zu retten was zu
retten ist. - Aber was gibt es dabei zu retten? Die eigene Kultur? Die Sprache?
Die Werte? Die Religion? Den Individualismus? Die Tradition? – Es entsteht eine
neue Kultur, die (nach L. Käser) eine neue Strategie zum Überleben in dieser
neuen Welt ist.[6]
[1] Geiko Müller-Fahrenholz, Wenn
die Seele den Halt verliert – Fundamentalismus als Verlust von Lebenssinn
in , im Jahrbuch Mission 1995 Fundamentalismus (Missionshilfe Verlag, Hamburg:
1995)20
[2] Giandomenico Picco u.A., Brücken
für die Zukunft – Eine Initiative von Kofi Annan, deutsche Ausgabe durch
die Stiftung für Entwicklung und Frieden, (S. Fischer Verlag, Frankfurt
a.M.:2001)22
[3] Detlef Kapteina, Die
globale Dimension des Missionsbefehls in Klaus W. Müller (Hrsg) Mission
im Kontext der Globalisierung - Referate
der Jahrestagung 2002 des Arbeitskreises für evangelikale Missiologie (AfeM)
(VTR, Nürnberg: 2002)
[4] Frank Kürschner-Pelkman,Die
Debatte über das Projekt Weltethos, im Jahrbuch Mission 1999 Glaube und
Globalität (Missionshilfe Verlag, Hamburg: 1999)124
[5] Hans Küng, Weltethos –
eine kleine Einführung, in, im Jahrbuch Mission 1999 Glaube und
Globalität (Missionshilfe Verlag, Hamburg: 1999)130
[6] Klaus W. Müller, Vorwort des Herausgebers in Klaus W.
Müller (Hrsg) Mission im Kontext der Globalisierung - Referate der Jahrestagung 2002 des
Arbeitskreises für evangelikale Missiologie (AfeM) (VTR, Nürnberg: 2002)7
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