Unübersetzbar
von Tanja Klement
„Saudade“ ist das schönste Wort aus der brasilianischen Sprache. Saudade
ist außerdem unübersetzbar. Vielleicht könnte man es am besten als eine
Mischung aus Heimweh, Sehnsucht und Weltschmerz erklären. Es ist dieser
undefinierbare, kalte Stein, der sich dort
breitmacht wo ich mein Herz vermute, wenn Dinge zu Ende gehen und ich
weiß, dass sie nicht mehr wiederkommen. Dieses Gefühl, wenn ich aus dem
Fenster eines Zuges schaue und weiß, dass am Ankunftsort niemand auf
mich wartet. Saudade hat man nach etwas: nach
Freunden, nach Orten – aber auch nach Erinnerungen, Zeiten, Bäumen und
Gerüchen, nach Stimmungen und Sekunden die jene Seite in mir haben
klingen lassen, die ich schon lange nicht mehr gehört habe. Saudade
bricht mir das Herz, weil das, wonach ich mich sehne,
so weit weg ist.
Saudade ist mein Lebensgefühl, die Grundmelodie meiner Tage. Egal wo ich
bin, vermisse ich auch. Hier vermisse ich die sonnengeküssten Tage
meiner Kindheit. Der sich ständig wiederholende Rhythmus meiner Stadt,
das Dröhnen der Millionen Autos, das Singsang
der Klagen und des Lachens, dass man in Deutschland nie hört. Und dort
– dort vermisse ich meine vernünftigen Freunde, die Herbstblätter im
Wind, das genauso unmöglich zu übersetzende Wort „Gemütlichkeit“.
Wie einfach hatte es Goethe mit seinen zwei Herzen in der Brust. In mir
schlagen nicht nur zwei Herzen, sondern ganze Welten stützen aufeinander
ein und kämpfen darum, mir sagen zu können, wer ich eigentlich bin.
Warum kann hier keiner den Namen meiner Stadt
aussprechen? Statt vom Heiligen Paulus reden sie alle von der Sau
Paulo, als ob der berühmte Apostel in Wirklichkeit ein allesfressender
Paarhufer wäre. Und warum versteht dort keiner, dass es für mich keinen
Weg zurück gibt?
Saudade bin ich. Ein Wesen geflochten aus dem Fernweh ihrer Eltern und
dem Treibstoff der Flugzeuge. Ein Kind der Globalisierung, das Heimat
nicht als ein Ort versteht, sondern als Utopie. Es gibt nur ein Ort,
nach dem ich Saudade habe – meine wahre Heimat.
Der Himmel. Dort, wo die Sehnsucht aufhört zu sein. Denn Saudade ist
genau dieses Gefühl der Zerrissenheit, die in dem „jetzt schon“ und
„noch nicht“ der Bibel schwingt. Saudade ist das Seufzen, dass mir über
die Lippen geht, wenn ich Jesus sehen will.
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