Labels

Samstag, 31. August 2013

Saudade Unübersetzbar

Unübersetzbar

von Tanja Klement

„Saudade“ ist das schönste Wort aus der brasilianischen Sprache. Saudade ist außerdem unübersetzbar. Vielleicht könnte man es am besten als eine Mischung aus Heimweh, Sehnsucht und Weltschmerz erklären. Es ist dieser undefinierbare, kalte Stein, der sich dort breitmacht wo ich mein Herz vermute, wenn Dinge zu Ende gehen und ich weiß, dass sie nicht mehr wiederkommen. Dieses Gefühl, wenn ich aus dem Fenster eines Zuges schaue und weiß, dass am Ankunftsort niemand auf mich wartet. Saudade hat man nach etwas: nach Freunden, nach Orten – aber auch nach Erinnerungen, Zeiten, Bäumen und Gerüchen, nach Stimmungen und Sekunden die jene Seite in mir haben klingen lassen, die ich schon lange nicht mehr gehört habe. Saudade bricht mir das Herz, weil das, wonach ich mich sehne, so weit weg ist.

Saudade ist mein Lebensgefühl, die Grundmelodie meiner Tage. Egal wo ich bin, vermisse ich auch. Hier vermisse ich die sonnengeküssten Tage meiner Kindheit. Der sich ständig wiederholende Rhythmus meiner Stadt, das Dröhnen der Millionen Autos, das Singsang der Klagen und des Lachens, dass man in Deutschland nie hört.  Und dort – dort vermisse ich meine vernünftigen Freunde, die Herbstblätter im Wind, das genauso unmöglich zu übersetzende Wort „Gemütlichkeit“.
Wie einfach hatte es Goethe mit seinen zwei Herzen in der Brust. In mir schlagen nicht nur zwei Herzen, sondern ganze Welten stützen aufeinander ein und kämpfen darum, mir sagen zu können, wer ich eigentlich bin. Warum kann hier keiner den Namen meiner Stadt aussprechen? Statt vom Heiligen Paulus reden sie alle von der Sau Paulo, als ob der berühmte Apostel in Wirklichkeit ein allesfressender Paarhufer wäre. Und warum versteht dort keiner, dass es für mich keinen Weg zurück gibt?

Saudade bin ich. Ein Wesen geflochten aus dem Fernweh ihrer Eltern und dem Treibstoff der Flugzeuge. Ein Kind der Globalisierung, das Heimat nicht als ein Ort versteht, sondern als Utopie. Es gibt nur ein Ort, nach dem ich Saudade habe – meine wahre Heimat. Der Himmel. Dort, wo die Sehnsucht aufhört zu sein. Denn Saudade ist genau dieses Gefühl der Zerrissenheit, die in dem „jetzt schon“ und „noch nicht“ der Bibel schwingt. Saudade ist das Seufzen, dass mir über die Lippen geht, wenn ich Jesus sehen will.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen