Wenn wir Christen
uns nicht aufmachen und neu denken lernen und dieses in proaktiven Handeln
münden lassen, ist der fortschreitende Untergang der Christenheit im „Christlichen
Abendland“ unausweichlich. Neudenken ist nötig!
Proaktives
Handeln erfordert eine proaktive Zielsetzung. Proaktivität setzt antizipative
Haltung und szenarienbasierte Vorüberlegungen voraus[1]. Das
erfordert Forschung. Die biblischen Propheten waren Proaktivisten. Sie hatten
den realistischen Blick für die Gegenwart und für die zukünftigen Dinge und
Entwicklungen. Ihre Botschaft war deshalb direkt und konkret an die Menschen
ihrer Tage gerichtet. Die im „Jetzt“ geschehene Handlung bestimmt die Realität
des Morgen. Die Zukunft ist immer das Resultat der Vergangenheit. Die proaktive,
das heißt die prophetische Aufgabe der Kirche liegt darin, den Menschen heute
den Weg zu einer Gesellschaft aufzuzeigen, welche die menschliche Existenz
lebenswert macht. Reich Gottes, in dem der Friede Gottes, Jahwes Schalom, regiert, ist das Ziel.
Daraus stellt
sich die Frage, was Auftrag Kirche Gemeinde Jesu Christi, in Europa, ja in der
Welt, des 21. Jahrhunderts ist. Der prophetische Auftrag der Missionsarbeit
verlangt geplantes Arbeiten. Wenn wir Christen uns nicht aufmachen und neu
denken lernen und dieses in proaktiven Handeln münden lassen, ist der
fortschreitende Untergang der Christenheit im „Christlichen Abendland“
unausweichlich. Neudenken ist nötig! Wie Albert Einstein sagte: Man kann die Probleme nicht mit den
Denkmustern lösen, welche sie verursacht haben.[2] Es
heißt also die Welt neu zu sehen und dann bewusst durch das Evangelium zu
gestalten.
Die
Projektierung einer gewünschten Zukunft ist die Basis für ein aktives und
hingebungsvolles Leben. Will man Menschen sehen, die hingebungsvoll leben und
lieben, dann muss man ihnen eine Perspektive geben. Niemand kann ohne Hoffnung,
wenn er keinen Sinn mehr sieht, leben oder lieben. Fehlende Zukunftsperspektive
ist das Ende jeglicher Kreativität.
Das Zentrum des
christlichen Glaubens ist, dass Gott diese Welt und die Menschen darin liebt
(Joh 3,16). Deshalb hat er sich ihnen zugewandt und ist selber Mensch geworden.
Es ist an der Zeit, dass die christliche Kirche sich darauf besinnt und aktiv
die Liebe Gottes auslebt. Dieses bedeutet, dass Gemeinde Christi als
Gegenkultur sich darauf konzentriert, mit allem was sie ist und tut, Heil
Gottes zu verbreiten. Als letztes Ziel zeigt die Bibel eben nicht die
grauenvolle Zerstörung der menschlichen Rasse auf, sondern die erfüllte
Lebensgemeinschaft von Gott und Mensch (Offb 21.3). Es ist die Aufgabe der
Theologie, angetrieben durch Gottes eigener Sendung, der Missio Deí, ein
begeistertes Bild der Zukunft zu schaffen. Mit anderen Worten, „Frohe
Botschaft“, das Evangelium, so zu formulieren, dass die Menschen begeistert und
hoffnungsvoll sich ihm anvertrauen.
Das Christentum und damit auch die Kirche, ist
in seinem Wesen zukunftsorientiert. Die Eschatologie ist die treibende Kraft
der Gemeinde. Die gesamte Bibel atmet prophetischen Geist. Gott ist in seinem
Wesen Weisheit und Christus offenbart sich uns als der Logos. Biblisches
Handeln ist ein auf ein Ergebnis hin zielendes Handeln. Christliches Handeln
ist gestaltendes Handeln. Deshalb kann die in christlichen Kreisen verbreitete
Angst vor perspektivischer Planung nur auf theologischen Unverstand basieren.
Bereits vor über dreißig Jahre kritisierte Bruno Herm die allgemein übliche
Handlungsweise in christlichen Werken. Er stellte fest, dass die meisten
christlichen Aktivitäten ohne klare Zielvorgaben geschehen. Wer keine klaren
Zielvorgaben hat, kann auch nicht in Frage gestellt werden, wenn er kein Ziel
erreicht. Es gilt, dass wer kein Ziel hat, sich nicht zu wundern braucht, wenn
er dann irgendwo landet, wo er nicht hinwollte.[3]
Ohne Zielvorgabe zu
arbeiten ist nicht produktiv, aber auch nicht kreativ. Es ist einfach Dummheit.
Dennoch fällt es vielen Menschen schwer, für gemeindliche oder missionarische
Arbeiten Ziele zu setzen. Dieses hat verschiedene Gründe. Für die
missionarische Arbeit Zielvorgaben zu erstellen ist schwierig. Im geistlichen
Dienst müssen wir immer mit zwei wichtigen Unbekannten rechnen: Erstens ist
Gemeindearbeit Gottes Sache. Der Geist weht wo er will (Joh 3:8) und ist nicht
manipulierbar. Gott und sein Handeln ist menschlich nicht planbar.
Zweitens wird die Gemeinde von Menschen
bestimmt. Menschen jedoch sind nicht konstant. Menschen in den Gemeinden ziehen
um, durchlaufen Krisen, werden krank und sterben. Sie sind in ihrer
Entscheidung oft nicht kalkulierbar. Zu diesen beiden grundlegenden Faktoren
kommen noch weitere schwer zu einzuschätzende Elemente, wie Trends, Gesellschaftsentwicklungen
und ähnliches, hinzu.
Systematische Analysen
und kritische Erhebungen lösen bei vielen Menschen jedoch Unbehagen und Angst
aus Bei vielen evangelikalen Christen erlebe ich eine Panik vor soziologischen
Untersuchungen. Um klare Zielvorgaben zu erstellen, ist es aber unumgänglich
eine klare Standortsbestimmung vorzunehmen. Wenn jemand irgendwo hin will, muss
er sich erst darüber klar werden, wo er eigentlich steht. Dieses geht aber nur
durch eine gründliche Untersuchung. Zielvorgaben ohne Zahlen und Zeitraster, das
heißt ohne erfassbare Ergebnisse sind nicht hilfreich.
Eine einseitige
Fixierung auf Zahlen und Statistiken ist jedoch zu kurz gegriffen. Es geht in
der Kirche im Tiefsten um eine ideelle Absicht, welche erreicht werden soll. So
sagt Paulus, dass Gott will, dass allen Menschen gerettet werden und sie zu der
Erkenntnis der Wahrheit kommen sollen (1Tim 2,4). Die konkreten Zielvorgaben in der Planung
sind die sekundären Maßnahmen, welche die zu erreichenden Absichten
konkretisieren. In der Gemeindegründung kann es also nicht darum gehen, dass
zig Gemeinden entstehen, sondern, dass Menschen zu Anbetern Gottes werden. Wird
diese tiefere Absicht nicht erreicht, dann ist auch das Gründen von 100 neuen Gemeinden
eine Fehlinvestition.
Für viele
geistliche Mitarbeiter, wie Pastore und Gemeindehelfer, haben Zahlen etwas Abschreckendes.
Die Ursache liegt in der tiefen Menschenbezogenheit dieser Mitarbeiter. Es
fällt ihnen schwer, auf Grund ihrer Persönlichkeitsstruktur und der
empathischen Beziehungen, Menschen in Nummern zu sehen. Ergebnisorientiertes
Handeln und empathische Führsorge stehen aber nicht in einem unlösbaren
Widerspruch zueinander. Komplementäres gemeinschaftliches Planen und Handeln
welches durch eine kollektive Leitung, welche durchgängig das neutestamentliche
Modell ist, gesteuert wird, kann zur großen Effizienz führen.
Statistische
Untersuchungen stoßen in deutschen christlichen Kreisen oft auf Widerstand.
Sprüche wie, „ich glaube nur den Statistiken, die ich selber manipuliert
habe“, oder „es gibt Notlügen, Lügen und Statistiken“, sind häufig
zu hören. Argumente wie: Statistiken
und Erhebungen haben zu Trugschlüssen geführt, oder Missionsberichte
werden zur „Ehre Gottes“ manipuliert, blocken oft systematische
Untersuchungen bereits im Vorfeld ab. Als Konsequenz dieser Einstellung sind
für systematische missiologische Forschung in der Regel keine Gelder vorhanden.
In den
theologischen Ausbildungsstätten sind empirische Untersuchungen und Forschungen
kein großes Thema. Die Studenten werden nicht dazu ausgebildet oder angehalten.
So ist es auch nicht verwunderlich, dass statistische Erhebungen im kirchlichen
Umfeld nur mit großen Schwierigkeiten durchzuführen sind. In den seltensten
Fällen beauftragen Missionen, Kirchen oder Gemeindebünde jemanden für eine
missiologische Forschungsarbeit. Wenn nun jemand in Eigeninitiative
entsprechende Untersuchungen vornimmt, so wird die gegen die Institution
vorgebrachte Kritik dann oft als „nicht richtig“ abgetan. Die weit verbreitete
Furcht vor dem Eingestehen von Fehlern durch die christlichen
Führungskräfte, ist das alarmierende
Zeichen massiven Unglaubens an einen vergebenden Gott.
Vielleicht fragt
sich mancher ob es bei solchen Schwierigkeiten überhaupt richtig ist,
Zielvorgaben für den geistlichen Dienst zu erstellen. Ich möchte nochmals an
die Aussagen Bruno Herms erinnern: Wer kein Ziel hat, braucht sich nicht zu
wundern, wenn er plötzlich realisiert, dass er irgendwo angekommen ist, wo er
nie hin wollte.[4] Es wäre nicht angebracht
die Ziellosigkeit zu kritisieren, wenn unsere jetzige gesellschaftliche und
kirchliche oder gemeindlichen Situation zufriedenstellend wäre. Dieses ist aber
nicht der Fall.
Um in unseren
missionarischen Unternehmungen nicht zu scheitern, ist es notwendig uns klar zu
machen, was wir erreichen wollen. Jesus selber unterwies uns zu planen und die
Kosten für die Nachfolge zu überschlagen (Lu 14,27-30). Er selber hatte sehr
klare Vorstellung über seinen Auftrag, seine Zielsetzung und seinen Dienst (Mk
10:45; Lk 19:10). Paulus hatte klar formulierte Ziele (Rm 15:20). Zielvorgaben
und Absichtserklärungen sind demnach kein Zeichen von fehlender Geistesführung.
Für Paulus war es normal, seine missionarischen Einsätze zu planen (Apg
16,6-7). Das er in der Ausführung seiner Pläne für die göttliche Leitung offen
war, widerspricht nicht dem Planen an sich, sondern ist ein Zeugnis der
geistlichen Sensibilität im missionarischen Engagement.
Wenn nun das höchste Gebot der Bibel die Liebe zu Gott und
dem Nächsten ist, dann müssen wir uns überlegen, wie das erreicht werden kann.
Damit ist wenigstens eine konkrete Zielsetzung christlicher Existenz gegeben.
Jeder Mensch auf diesem Globus hat das Recht von der Liebe, die Gott zu ihm hat,
zu erfahren. Dieses geschieht durch den Zuspruch in der verbalen Verkündigung
und durch die konkrete Zuwendung, im diakonischen Dienst von Mensch zu Mensch.
Dadurch wird der Mensch fähig sich anzunehmen und selber zu lieben. Die
Erfüllung seiner Bestimmung zur Liebe, kann der Mensch nur dann leben, wenn er
sich selbst geliebt weiß. Papst Benedikt drückte dieses als Kardinal Josef
Ratzinger so aus:
Sein Ich wird ihm (dem Menschen) nur
akzeptabel dadurch, das es zuerst von einem anderen Ich akzeptiert ist. Er kann
sich selbst nur lieben, wenn er zuvor von einem anderen geliebt ist. Damit der
Mensch sich selbst annehmen kann, muss ihm gesagt sein: Gut, dass du bist –
gesagt nicht mit Worten, sondern mit jenem ganzen Akt der Existenz, den wir
Liebe nennen.[5]
Liebe basiert
auf der persönlichen Beziehung der Individuen. Liebe ist Begegnung, ist
Kommunikation. So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen
Sohn gab, damit alle, die ihm glauben gerettet werden (Joh. 3,16). Gott wurde
Mensch. Er ist so in der Inkarnation den Menschen begegnet und will jedem Einzelnen
durch Jesusnachfolger begegnen. Das ist christliche Mission. Heute leben ca. 7
Milliarden Menschen auf unserem Planeten. Wie soll diesen allen die Liebe
Gottes denn zukommen? Jeder Mensch
braucht dazu die persönliche Zuwendung wenigstens eines Menschen, der ihn
liebt. Wenn das unsere Zielsetzung ist, dann müssen wir Kirche und Mission
völlig neu und konstruktiv denken und planen lernen.
[1]http://de.wikipedia.org/wiki/Proaktivit%C3%A4t
(27.10.2009)
[2] Albert Einstein,
http://www.uni-protokolle.de/foren/viewt/192057,0.html
[3] Bruno Herm, Leiter der
Deutschen Missionsgemeinschaft, Oktober 1973, Vorlesungen an der Bibelschule
Brake zur Missionsstrategie. Persönliche Mitschrift.
[4] Bruno Herm, Oktober 1973,
Vorlesungen an der Bibelschule Brake zur Missionsstrategie. Persönliche
Mitschrift.
[5] Josef Ratzinger, Theologische
Prinzipienlehre – Bausteine zur Fundamentaltheologie (München: 1982)80
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